Entscheidungsstichwort (Thema)
Rentenversicherung. Krankenversicherung. Erstattungsstreit wegen medizinischer Rehabilitationsmaßnahme. Vorschrift des § 12 Abs 1 SGB 6 stellt eine Wegfallregelung dar. Vorschrift des § 14 SGB 9 begründet eine nachrangige Zuständigkeit mit Erstattungsanspruch. Anwendung der §§ 103, 104 SGB 10
Orientierungssatz
1. Die Vorschrift des § 12 Abs 1 SGB 6 stellt eine Wegfallregelung dar, die bewirkt, dass der Leistungsanspruch gegen den Rentenversicherungsträger entfällt.
2. Die Vorschrift des § 14 SGB 9 begründet eine nachrangige Zuständigkeit, die es zulässt, dass sich der erstangegangene Rehabilitationsträger (hier: Rentenversicherungsträger) im Rahmen des Erstattungsstreits die Kosten vom "eigentlich" zuständigen, insoweit vorrangigen Träger (hier: Krankenkasse) erstatten lässt (vgl BSG vom 26.6.2007 - B 1 KR 34/06 R = BSGE 98, 267 = SozR 4-3250 § 14 Nr 4 RdNr 28).
3. Die allgemeinen Bestimmungen der §§ 103 und 104 SGB 10 werden durch die speziellere des § 14 Abs 4 SGB 9 idF vom 23.4.2004 nicht verdrängt.
Tenor
Das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 10. Mai 2016 wird abgeändert. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 12.865,59 € zu zahlen. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt 1/10, die Beklagte 9/10 der Kosten des Verfahrens.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin verlangt von der Beklagten die Erstattung von Kosten für Rehabilitationsmaßnahmen.
Der 1952 geborene bei der Beklagten krankenversicherte R B (Versicherter - V) beantragte bei der Klägerin unter dem 6. Oktober 2013 (Datum der Unterschrift), bei der Klägerin am 6. November 2013 eingegangen, stationäre Leistungen zur medizinischen Rehabilitation für Abhängigkeitskranke. Er verwendete dabei ein Formular der Klägerin, auf dessen letzter Seite die Beklagte unter dem Datum 4. Oktober 2013 unter anderem bescheinigte, dass V bei ihr pflichtversichert sei.
Er befand sich zu dieser Zeit in Altersteilzeit in der passiven Phase. Die Klägerin bewilligte die Maßnahme mit Bescheid vom 12. November 2013. Zuvor hatte sie einer Kontenübersicht entnommen, dass eine Altersrente für langjährig Versicherte ohne Vertrauensschutz, der zu ermitteln sei, mit Abschlag ab 1. März 2015 möglich sei, ohne Abschlag am 1. September 2017. Bei Vertrauensschutz sei frühester Rentenbeginn mit Abschlag der 1. März 2014.
Der V ließ sich vom 16. Dezember 2013 bis zum 29. März 2014 in der Rehabilitationsabteilung der Fachklinik F- in P behandeln.
Am 23. Dezember 2013 stellte er einen Antrag auf Altersrente für langjährig Versicherte nach § 36 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI).
Mit Bescheid vom 22. Januar 2014 wurde ihm für die Zeit ab dem 1. März 2014 eine solche Rente bewilligt.
Am 28. Februar 2014 beantragte er ferner bei der Klägerin ambulante Suchtnachsorgeleistungen.
Die Klägerin bewilligte daraufhin mit Bescheid vom 19. März 2014 zunächst eine ambulante Nachsorgeleistung in der D Suchthilfe L.
Mit weiterem Bescheid vom 28. März 2014 ersetzte sie diese Einrichtung durch die Fachambulanz der Klinik L. Der vorangegangene Bescheid sei dadurch gegenstandslos. Am 18. August 2014 verlängerte sie die Bewilligung bis 30. März 2015.
Unter dem 28. März 2014 ist in der Akte der Klägerin des V festgehalten, dass dieser am 23. Dezember 2013 eine Vollrente beantragt hatte.
Die ambulante Behandlung wurde zwischen dem 31. März 2014 und dem 27. Januar 2015 durchgeführt.
Mit Schreiben vom 31. März 2014 meldete die Klägerin gegenüber der Beklagten Erstattungsansprüche nach § 103 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) an. Durch den Antrag auf Altersrente, welchem für die Zeit ab 1. März 2014 entsprochen worden sei, sei der V nach § 12 Abs. 1 Nr. 2 SGB VI aus dem Personenkreis ausgeschieden, welcher Rehabilitationsleistungen durch den Rentenversicherungsträger erhalten könne. Deswegen sei die Krankenkasse zuständig. Dem V seien für 15 Wochen Rehabilitationsleistungen zuerkannt worden. Die Kosten der stationären Reha-Maßnahme bezifferte sie in diesem Schreiben auf 8.438,98 €, darunter Pflegekosten für die Zeit vom 16. Dezember 2013 bis zum 28. Februar 2014 in Höhe von 8.370,14 €.
Die Beklagte widersprach dem Erstattungsanspruch mit Schreiben vom 17. April 2014. Der Rentenversicherungsträger sei der Kostenträger einer Leistung zur medizinischen Rehabilitation, wenn sich der Versicherte in der Freistellungsphase der Altersteilzeit befinde. In der Kontoübersicht der Klägerin für den V ist unter demselben Datum die Rentenbewilligung am 22. Januar 2014 enthalten.
Die Klägerin meldete mit Schreiben vom 10. April 2014 auch Erstattungsansprüche hinsichtlich der ambulanten Nachsorge an.
Sie hat am 15. Juni 2015 Klage beim Sozialgericht Berlin (SG) erhoben.
Ihr stehe ein Erstattungsanspruch nach § 14 Abs. 4 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (in der bis 31. Dezember 2017 geltenden Fassung = “SGB IX a. F.„) analog zu, weil sie als erstangegangene Rehabilitationsträgerin nach den ihr vorliegenden Angaben und Unterlagen von ihrer Zuständigkeit habe ausgeh...