Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Krankengeld. Feststellung der Arbeitsunfähigkeit. Inhalt der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung. Versäumnis der Antrags- und Meldefrist. geschäftsunfähiger Versicherter. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand
Orientierungssatz
1. Eine Arbeitsunfähigkeit kann durch alle Ärzte festgestellt werden. Es muss sich nicht notwendig um den behandelnden Arzt oder um einen Vertragsarzt handeln.
2. Notwendiger Inhalt der ärztlichen Feststellung in der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung sind nur die medizinischen Anteile des Arbeitsunfähigkeitsbegriffs. Deshalb genügt es auch, wenn der Arzt das Wort "Arbeitsunfähigkeit" nicht verwendet, jedoch feststellt, dass der Versicherte krank ist und deshalb weder seine letzte noch eine ähnliche Tätigkeit verrichten kann (vgl BSG vom 24.2.1976 - 5 RKn 26/75 = SozR 2200 § 182 Nr 12).
3. Zwar handelt es sich bei § 46 S 1 Nr 2 SGB 5 und bei der Wochenfrist des § 49 Abs 1 Nr 5 Halbs 2 SGB 5 um Ausschlussfristen (vgl BSG vom 28.10.1981 - 3 RK 59/80 = BSGE 52, 254 = SozR 2200 § 216 Nr 5). Die Säumnis bewirkt aber dann keinen Rechtsverlust, wenn ein Handeln im Rechtssinne nicht möglich war, also bei geschäftsunfähig Versicherten ohne gesetzlichen Vertreter (vgl ua BSG vom 4.10.1973 - 3 RK 26/72 = SozR Nr 11 zu § 216 RVO).
4. Das Hindernis iS der Vorschriften über die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist erst an dem Tag weggefallen, an dem der Betreuer die Versäumung der Antrags- und Meldefrist erkannte oder bei Anwendung der erforderlichen Sorgfalt hätte erkennen können (vgl ua BSG vom 22.1.1964 - 3 RK 9/64 = SozR Nr 38 zu § 67 SGG).
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Gewährung von Krankengeld für die Zeit vom 1. November 1995 bis 31. August 1996.
Die 1955 geborene Klägerin ist ... und war seit dem 1. Juli 1990 als Bedienung in der Bar am ... beschäftigt und mit Rücksicht darauf Pflichtmitglied der Beklagten. Sie leidet an einer Paranoid halluzinatorischen Schizophrenie. Von Seiten des Arbeitgebers wurde das Arbeitsverhältnis fristgemäß zum 31. Oktober 1995 gekündigt. Der Geschäftsführer der Bar am ... teilte zu den Beweggründen, die zur Kündigung geführt hatten, mit Schreiben vom 23. Dezember 1996 folgendes mit:
Im Sommer 1995 verschärfte sich der Zustand von Frau ... insofern, dass sie nicht mehr ihre Kollegen begrüßte und nicht mehr mit ihnen sprach. Sie schrieb während des Dienstes Briefe, war nicht ansprechbar und bediente in der Zeit keine Gäste. Ferner kassierte sie die Gäste nicht ab, da eine innere Stimme zu ihr sprach: "Sei nicht so umsatzgeil". Sie war nicht mehr in der Lage Ihren Arbeitsbereich unter Kontrolle zu halten, es wurden weder Gläser abgeräumt, gespült oder Aschenbecher geleert. Frau ... war apathisch im Dienst, zu keiner normalen Kommunikation in der Lage und als wir sie auf die Vorgänge ansprachen, bat sie zunächst um Urlaub.
Wir machten uns große Sorgen um Frau ... da wir diesen Gemütszustand vom Vorjahr, jedoch nicht in so einer verstärkten Form kannten. Körperlich war sie auch sehr abgemagert. Aus diesem Grunde schalteten wir den Sozialpsychiatrischen Dienst im ... ein.
Dieser erklärte uns, dass Frau ... unter einer Psychose leiden würde. Die einzige Verbindung zur normalen Welt habe sie nur über die Arbeit in der Bar am
Nach dem Urlaub erklärten wir ihr, dass sie sich in psychiatrische Behandlung begeben müsste und sich krankschreiben lassen solle. Daraufhin erklärte sie, dass sie nicht krank sei, dass eine fremde Stimme, die so laut wie ein Rockkonzert sei, ihr befehle, all diese unsinnigen Dinge zu tun.
Wir erklärten ihr, dass es unmöglich sei, sie weiterzubeschäftigen, da ihre Arbeit von den Kollegen getragen werden müsste und ihr Gemütszustand die Kollegen und die Gäste überfordern würde.
Da sie nicht zu einer Behandlung und der damit verbundenen Krankschreibung zu bewegen war, kündigten wir ihr fristgemäß.
Am 29. Februar 1996 beantragte der Sozialpsychiatrische Dienst des Bezirksamtes ... von Berlin die Unterbringung der Klägerin gemäß § 8 Abs. 1 Gesetz für psychisch Kranke (PsychKG). Der Arzt für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie Dr. ... führt in seinem Bericht hierzu aus (Bl. 25 der Betreuungsakte):
"Fr. seit Anfang 95 im SpD ... bekannt. Im Rahmen einer studentischen Aushilfe in einer Gaststätte hatte sie einen Liebeswahn im Bezug auf einen Gast entwickelt. In den folgenden Monaten hat sich diese Wahnvorstellung systematisiert, inzwischen fühlt sie sich von diesem "Partner" telepathisch kontrolliert und gehindert, sowohl ihre Magisterarbeit in Germanistik wie auch einen "Job" fortzuführen.
Über den Vater erfuhren wir, dass Fr. ... seit einigen Wochen vermehrt unter Spannung geraten ist, in Telefonaten empört sie sich gequält über die "Beeinträchtigung und Behinderung". Sie sitze blockiert in der Wohnung.
Bei insgesamt 3 Hausbesuchen zuletzt am 28. Februar 1996 zeigte sich Fr. ... vollständig eingebunden in die produktive Symptomatik. Immer, wenn sie einen Schritt in Richtung Arbeitsaufnahme...