Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitslosengeldanspruch. Anwartschaftszeit. sonstiger Versicherungspflichtiger. Pflegeperson. Anwendbarkeit des § 26 Abs 2b SGB 3. unmittelbar vor Beginn der Pflegetätigkeit. keine einschränkende Anwendung ab dem 1.1.2017
Orientierungssatz
Die Versicherungspflicht nach § 26 Abs 2b SGB 3 ist nicht auf Pflegepersonen beschränkt, die unmittelbar vor dem 1.1.2017 bereits zu dem durch die Arbeitslosenversicherung geschützten Personenkreis gehört haben.
Normenkette
SGB III § 26 Abs. 2b S. 1, Abs. 3 Sätze 5-6, § 25 Abs. 1, § 137 Abs. 1, §§ 138, 142 Abs. 1 S. 1, § 143 Abs. 1, § 345 Nr. 8, § 347 Nr. 10, § 349 Abs. 4a S. 1, Abs. 5 S. 2, §§ 427a, 446 Abs. 1-2; SGB III a.F. § 26 Abs. 2b, § 28a Abs. 1 S. 1 Nr. 1, Abs. 2 S. 1; SGB XI § 15 Abs. 3 S. 4 Nr. 5, § 19; SGB XI a.F. § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 3, Abs. 3 S. 1 Nr. 3; PflegeZG § 3 Abs. 1 S. 1, § 4 Abs. 1 S. 1
Tenor
1. Der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Hamburg vom 17. Dezember 2020 und der Bescheid der Beklagten vom 8. April 2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 1. Juli 2020 werden aufgehoben. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin ab dem 6. Januar 2020 Arbeitslosengeld nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren.
2. Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin in beiden Instanzen.
3. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt von der Beklagten Arbeitslosengeld. Streitig ist die Erfüllung der Anwartschaftszeit, insbesondere die Frage, ob die Klägerin versicherungspflichtig gemäß § 26 Abs. 2b Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III) in der seit dem 1. Januar 2017 geltenden Fassung ist.
Die im Jahre 1959 geborene Klägerin arbeitete bis zum 5. April 2000 in einem sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis bei der Firma K. in H.. Am xxxxx Mai 2000 brachte sie ihren Sohn L. zur Welt, welcher aufgrund von Geburt an bestehender schwerster Behinderungen einer intensiven pflegerischen Versorgung bedurfte. Vom 10. April 2000 bis zum 14. August 2000 bezog die Klägerin von der Securvita BKK - Krankenkasse Mutterschaftsgeld. Seit Geburt ihres Sohnes erhält die Klägerin von der beigeladenen Pflegekasse Leistungen der sozialen Pflegeversicherung im Rahmen der Pflegestufe III im Sinne von § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 3, Abs. 3 S. 1 Nr. 3 Sozialgesetzbuch Elftes Buch (SGB XI) in der bis zum 31. Dezember 2016 geltenden Fassung bzw. im Rahmen des Pflegegrades 5 im Sinne von § 15 Abs. 3 S. 4 Nr. 5 SGB XI in der seit dem 1. Januar 2017 geltenden Fassung. Die bei dem Sohn der Klägerin erforderliche intensive pflegerische Versorgung wurde von dessen Geburt an bis zum 5. Januar 2020 durch die Klägerin selbst in deren Haushalt erbracht. Aufgrund der pflegerischen Versorgung ihres Sohnes gab die Klägerin ihre zuvor ausgeübte berufliche Tätigkeit auf. Das Arbeitsverhältnis wurde zum 29. Februar 2004 formal beendet.
Am 20. Dezember 2019 meldete sich die Klägerin bei der Beklagten zum 6. Januar 2020 persönlich arbeitssuchend und beantragte die Gewährung von Arbeitslosengeld. Hintergrund war, dass ihr Sohn zum 6. Januar 2020 aus deren gemeinsamen Haushalt ausziehen sollte und die Klägerin fortan nicht mehr dessen pflegerische Versorgung übernehmen musste. Die Klägerin fügte Schriftverkehr mit der Beigeladenen bei, wonach diese für die Klägerin ab dem 1. Januar 2017 von keiner Versicherungspflicht in der Arbeitslosenversicherung ausging und keine Beiträge an die Beklagte abgeführt hatte.
Den Widerspruch der Klägerin gegen den Bescheid vom 20. Dezember 2019, mit welchem die Beigeladene Beiträge zur Arbeitslosenversicherung als Pflegeperson bei der Klägerin abgelehnt hatte, leitete die Pflegekasse an die Beklagte weiter und bat die Beklagte um Entscheidung.
Mit Bescheid vom 8. April 2020 lehnte die Beklagte den Antrag der Klägerin auf Arbeitslosengeld ab. Diese habe die Anwartschaftszeit nicht erfüllt, da sie in den letzten zwei Jahren vor dem 20. Dezember 2019 weniger als zwölf Monate versicherungspflichtig gewesen sei.
Mit ihrem hiergegen am 6. Mai 2020 eingelegten Widerspruch machte die Klägerin geltend, dass sie versicherungspflichtig gewesen sei und die Anwartschaftszeit erfülle. Sie habe ihre berufliche Tätigkeit zur Pflege und Versorgung ihres mehrfach schwerstbehinderten Sohnes einstellen müssen. Die Pflegekasse sei zur Beitragszahlung zur Arbeitslosenversicherung verpflichtet gewesen. Sie stehe für eine mindestens 15 Stunden wöchentlich umfassende Beschäftigung am Arbeitsmarkt zur Verfügung.
Mit Widerspruchsbescheid vom 1. Juli 2020 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Die Rahmenfrist umfasse die Zeit vom 20. Dezember 2017 bis 19. Dezember 2019. Innerhalb dieser Rahmenfrist sei die Klägerin nicht versicherungspflichtig im Sinne der §§ 24, 26 und 28a SGB III gewesen. Aufgrund einer Änderung der Rechtslage würden Pflegepersonen seit dem 1. Januar 2017 grundsätzlich unter den in § 26 Abs. 2b SGB III genannten Voraussetzungen versicherungspflichtig. Dabei beschränke sich die Vers...