Entscheidungsstichwort (Thema)
Leistungen zur Rehabilitation: Kinderrehabilitationsbehandlung. Zuständigkeit des Trägers der Rentenversicherung für die Leistungsgewährung. Auswirkungen auf die spätere Erwerbsfähigkeit als Leistungsvoraussetzung. Erstattungsanspruch des erstangegangenen Träger bei Gleichrangigkeit der Leistungspflichten
Orientierungssatz
1. Die Übernahme der Kosten für eine notwendige Rehabilitationsleistung zur Überwindung einer Gesundheitsbeeinträchtigung bei einem Kind (hier: Sprachstörung) kann nicht allein deshalb vom Rentenversicherungsträger verweigert werden, weil durch die Maßnahme ein direkter Einfluss auf die spätere Erwerbsfähigkeit nicht gegeben ist. Soweit die Richtlinien des Rentenversicherungsträgers zur Gewährung von Rehabilitationsleistung eine davon abweichende ermessenslenkende Vorgabe treffen, sind sie insoweit unwirksam.
2. Soweit eine Maßnahme zur Rehabilitation bei Kindern die Schul- und Ausbildungsfähigkeit verbessern soll (hier: Behandlung einer Sprachstörung durch eine Sprachintensivtherapie), ist damit im Regelfall auch ein hinreichender Zusammenhang mit der künftigen Erwerbsfähigkeit des Betroffenen gegeben und damit eine Zuständigkeit der Rentenversicherung für die Rehabilitationsleistung eröffnet.
3. Ein leistungspflichtiger Sozialleistungsträger (hier Rentenversicherung als Rehabilitationsträger) darf einen Antrag auf Leistungsgewährung jedenfalls nicht an einen anderen gleichrangig verpflichteten Sozialleistungsträger (hier: Krankenkasse) abgeben. Er bleibt bei Gleichrangigkeit der Leistungspflicht vielmehr als erstangegangener Träger zur Leistung verpflichtet. Ein späterer Erstattungsanspruch scheidet in diesem Fall aus.
Tenor
1. Die Berufung wird zurückgewiesen.
2. Die Beklagte trägt auch die Kosten des Berufungsverfahrens.
3. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Im Streit ist ein Erstattungsanspruch wegen von der Klägerin aufgewandter Kosten für eine stationäre Leistung zur Kinderrehabilitation (Behandlungskosten nach Pflegesatz in Höhe von 3.925,60 Euro, Kosten für eine Begleitperson in Höhe von 1.201,48 Euro, Fahrkosten in Höhe von 39,70 Euro, insgesamt 5.166,78 Euro).
Die zur Pflegerin bestellte Stadt M. - Fachbereich Jugend - beantragte am 20. Februar 2012 in Vertretung für den am xxxxx 1980 geborenen, bei der Klägerin gesetzlich krankenversicherten und bei der Beklagten gesetzlich rentenversicherten S.G. bei der Beklagten eine Leistung zur Kinderrehabilitation (Leistung zur Teilhabe für nichtversicherte Angehörige) für dessen am xxxxx 2006 geborene, zu der Zeit bei Pflegeeltern im Kinderhaus F. in R. lebende, über ihn bei der Klägerin familienversicherte Tochter A.S. (im Folgenden: A.S.). Diese leidet an einem Microcephalus (Fehlbildung des Schädels im Sinne einer Verkleinerung des Umfangs) mit Pachygyrie und Balkenmangel (Fehlbildungen des Gehirns) mit einer erheblichen psychomotorischen, psychomentalen und herausragenden sprachlich-expressiven Retardierung (Entwicklungsverzögerung). A.S. ist schwerbehindert mit einem anerkannten Grad der Behinderung von 90 (bis 20. April 2011: 80) sowie den Merkzeichen G, B und H. Des Weiteren ist sie schwerpflegebedürftig (Pflegestufe II nach dem bis Ende 2016 geltenden Recht).
Dem Antrag waren verschiedene ärztliche, logopädische und heilpädagogische Berichte beigefügt: - Die behandelnde Kinderärztin Dr. K. vertrat die Auffassung, dass bei drohender oder vorliegender Einschränkung der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft und Minderung der Erwerbsfähigkeit eine Sprachheilrehabilitationsmaßnahme erforderlich sei und aussichtsreich erscheine. - Die Pflegemutter aus der Einrichtung Kinderhaus F. gab unter dem 25. Januar 2012 an, dass A.S. dort 2007 aufgenommen worden sei. Zu diesem Zeitpunkt habe A.S. weder robben, noch sitzen noch wie andere Kinder feste Nahrung aufnehmen können und habe ausschließlich mit der Babyflasche ernährt werden müssen. Durch eine kontinuierliche Förderung im Kinderhaus im Zusammenhang mit verschiedenen Therapeuten wie Logopäden, Physiotherapeuten und Heilpädagogen des Früherkennungszentrums habe sich A.S. Stück für Stück entgegen ihrer negativen Anfangsprognose entwickeln können. Sie besuche im dritten Jahr die additive Kindertagesstätte Sonnenschein der Lebenshilfe in L. und erhalte dort ebenfalls eine gute Förderung durch entsprechendes Fachpersonal. A.S. könne nun gehen, laufen, hüpfen und klettern. Sie sei in der Lage, kleine Mengen fester Nahrung und einen Teil ihrer täglichen Flüssigkeitsmenge durch Trinken aus einem Becher aufzunehmen. Sie gebärde mit einfachen Kindergebärden und teile sich über Bildkarten mit, lautiere und fange an, immer mehr kürzere Wörter nachzusprechen. Eine Rehabilitationsmaßnahme vor der Einschulung im Sommer 2012 wäre für A.S. ideal, da sie sehr viel lautiere und sich bemühe, Namen anderer Kinder, mit denen sie zusammenlebe, nachzusprechen. Sie wende die Wörter "ja" und "nein" oft zielgerichtet an, spreche die Pflegeeltern mit "Mama" und "Papa" an und bilde...