Entscheidungsstichwort (Thema)

Krankenversicherung. Vereinbarung gesetzlicher Krankenkassen mit Leistungserbringern. Zulässigkeit eines abstrakten Schuldanerkenntnisses im öffentlichen Recht. Vereinbarung einer nachträglichen Vertragsstrafe. Abwälzen der Schadensermittlungskosten nach § 197a SGB 5 auf den Leistungserbringer. Absehen von der Unterrichtung der Staatsanwaltschaft nach § 197a Abs 4 SGB 5

 

Orientierungssatz

1. Ein abstraktes Schuldversprechen nach §§ 780, 781 BGB ist im Bereich des öffentlichen Rechts abzulehnen, da die Hoheitsträger dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung nach Art 20 Abs 3 GG unterworfen sind und mittels abstrakten Schuldversprechen keine Forderung begründet werden darf, für die es keinen Rechtsgrund gibt.

2. Nach §§ 336ff BGB ist eine Vertragsstrafe grundsätzlich nur dann wirksam, wenn sie im Vorhinein vereinbart wird, und zwar dergestalt, dass bei Vertragsschluss eines schuldrechtlichen Vertrages vereinbart wird, welche Vertragsstrafe bei Verletzung welcher schuldrechtlicher Pflichten ausgelöst wird. Denn der Schuldner soll den Vertragsinhalt zukünftig erfüllen und dazu sich der Folgen einer bei zukünftiger Vertragsnichterfüllung fällig werdenden Vertragsstrafe bewusst werden. Eine nachträglich vereinbarte Vertragsstrafe ist grundsätzlich unwirksam.

3. Aus der Vorschrift des § 197a SGB 5 ergibt sich allein die Verpflichtung der gesetzlichen Krankenkassen, die entsprechenden Abteilungen zu errichten und zu unterhalten. Die Kosten für die Errichtung und Unterhaltung sind damit gesetzlich vorgeschriebene Vorhaltekosten, die nicht, auch nicht anteilig, auf die Leistungserbringer abgewälzt werden dürfen, auch dann nicht, wenn etwaige Manipulationen von Abrechnungen etc in Rede stehen.

4. Weder § 197a SGB 5 noch die Vorschriften des § 69 SGB 5 sowie der §§ 53ff SGB 10 kommen als Ermächtigungsgrundlage für eine Vereinbarung einer gesetzlichen Krankenkasse und Verbänden der gesetzlichen Krankenkassen mit Leistungserbringern über ein Absehen von der Unterrichtung der Staatsanwaltschaft im Gegenzug zur Unterzeichnung der Vereinbarung zwecks Schadenswiedergutmachung (Konnexität) in Betracht.

 

Tenor

Das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 6. Februar 2009 wird aufgehoben.

Die Klage der Klägerin gegen den Beklagten wird abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits in erster und zweiter Instanz.

Der Streitwert wird festgesetzt auf 6.760 €.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Klägerin begehrt von dem Beklagten Zahlung aus einer “Vereinbarung„.

Die Klägerin ist eine gesetzliche Krankenkasse in Niedersachsen. Der Beklagte ist Augenoptiker in Niedersachsen und zur Hilfsmittelversorgung zugelassen.

Mit Datum vom 22. März 2005 schlossen die Beteiligten folgende “Vereinbarung„:

“Vereinbarung„

zwischen

1.

der AOK - Die Gesundheitskasse für Niedersachsen (AOKN), handelnd im eigenen Namen und im Namen der von ihr vertretenen Primärkassen gem. Anlage 1 dieser Vereinbarung,

-

im Folgenden: “Die Krankenkasse„-

2.

den Verbänden der gesetzlichen Krankenkassen in Niedersachsen gemäß Anlage 2 dieser Vereinbarung

-

im Folgenden: “Die Verbände„ -

einerseits und andererseits

3.

der Firma E, B Str., W, vertreten durch den Inhaber, Herrn H-J E

4.

-

im Folgenden: “Der Leistungserbringer„ -

-

Präambel

Die Krankenkassen erheben gegen den Leistungserbringer Ansprüche wegen der falschen Abrechnung von augenoptischen Leistungen (Abrechnung von nicht oder nicht wie abgerechnet erbrachten Leistungen, Rückdatierung von Berechtigungsscheinen und Verordnungen). Der Leistungserbringer erklärt sich zur Schadenwiedergutmachung bereit. Die Parteien vereinbaren was folgt:

1.

Der Leistungserbringer erkennt hiermit im Wege eines selbstständigen Schuldanerkenntnisses einen Betrag zu Gunsten der AOK Niedersachsen in Höhe von

11.000,- EUR

(in Worten: elftausend EUR)

   an. Hiervon entfallen auf den Bereich Rückdatierung 2.600,- EUR.

2.

Die Verbände der Krankenkassen und der Leistungserbringer vereinbaren eine Vertragsstrafe zu Gunsten der AOK Niedersachsen in Höhe von

5.000,-- EUR

(in Worten: fünftausend EUR)

3.

Hiermit sind sämtliche Rückforderungsansprüche der Krankenkassen für fehlerhafte Abrechnungen des Leistungserbringers abgegolten. Eingeschlossen sind auch Leistungen, die im Jahr 2004 abgegeben wurden, aber mit einem Abgabedatum vor dem 01.01.2004 zur Abrechnung eingereicht wurden. Der Leistungserbringer verzichtet auf die Vergütung von Leistungen, die im Jahr 2004 abgegeben und mit einem Abgabedatum vor dem 01.01.2004 zur Abrechnung eingereicht wurden.

4.

Der Leistungserbringer erstattet den Krankenkassen die Kosten der Schadenermittlung pauschal mit einem Betrag in Höhe von 1.000,- EUR (in Worten: eintausend EUR).

5.

Der anerkannte Rückzahlungsbetrag in Höhe von insgesamt 17.000,- EUR ist fällig. Zu dem Zweck, dem Leistungserbringer die Fortsetzung seines Geschäftsbetriebs zu ermöglichen, wird ihm für die Dauer der Betriebsfortführung durch den Leistungserbringer unter folgender Voraussetzung (aufschiebende Beding...

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