Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialrechtliches Verwaltungsverfahren. Überprüfungsantrag. Sozialhilfe. Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung. Einkommenseinsatz. Beschäftigung im Arbeitsbereich einer WfbM. Arbeitsentgelt. Arbeitsförderungsgeld. Zulässigkeit der Aufteilung von zweimal jährlich anfallenden Zulagen auf einen angemessenen Zeitraum. Berechnung des Absetzbetrags nach § 82 Abs 3 S 2 Alt 2 SGB 12 vom Bruttoeinkommen. maßgeblicher Zeitpunkt bei Wegfall der Bedürftigkeit

 

Leitsatz (amtlich)

1. Zulagen zu den Grundbezügen aus der Beschäftigung im Arbeitsbereich einer WfbM (hier zweimal jährlich 55,00 EUR) sind nur dann gem § 3 Abs 3 S 2 der VO zu § 82 (juris: BSHG§67DV) auf einen angemessenen Zeitraum aufzuteilen, wenn durch eine vollständige Berücksichtigung im Zuflussmonat die Hilfebedürftigkeit der leistungsberechtigten Person und damit die Leistungspflicht des Sozialhilfeträgers entfällt.

2. Der weitere Freibetrag nach § 82 Abs 3 S 2 Halbs 2 SGB 12 (25 vom Hundert des diesen Betrag übersteigenden Entgelts) ist aus dem Brutto- und nicht dem Nettoeinkommen zu berechnen.

3. Nicht zum Entgelt iS des § 82 Abs 3 S 2 SGB 12, von dem der weitere Freibetrag zu berechnen ist, gehört das Arbeitsförderungsgeld nach § 43 S 4 SGB 9. Es zählt nicht iS des § 138 Abs 2 SGB 9 zum Arbeitsentgelt (Grundbetrag in Höhe des Ausbildungsgeldes zzgl eines leistungsangemessenen Steigerungsbetrages), sondern wird von der Werkstatt als besonderer Lohnanreiz an den Beschäftigten weitergereicht.

4. Für die Frage des maßgeblichen Zeitpunkts eines anspruchsvernichtenden Bedürftigkeitswegfalls bei einem Zugunstenverfahren nach § 44 SGB 10 (vgl hierzu BSG vom 29.9.2009 - B 8 SO 16/08 R = SozR 4-1300 § 44 Nr 20) ist nach allgemeinen prozessualen Grundsätzen und wegen des Gebots des effektiven Rechtsschutzes auf den Zeitpunkt der Antragstellung iS des § 44 Abs 4 Satz 3 SGB 10 bzw bei einem von Amts wegen eingeleiteten Verwaltungsverfahren auf das Datum der Einleitungsverfügung abzustellen.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 17.12.2015; Aktenzeichen B 8 SO 24/14 R)

 

Tenor

1. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 29. April 2011 aufgehoben, der Bescheid der Stadt Garbsen vom 18. Januar 2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides der Beklagten vom 21. Mai 2008 wird geändert.

2. Die Beklagte wird verpflichtet, der Klägerin unter Änderung der Bescheide der Stadt Garbsen vom 23. März, 1. August und 14. Dezember 2005 für die Zeit vom 1. Januar 2005 bis zum 31. Juli 2006 monatliche Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem Vierten Kapitel des SGB XII zu zahlen, und zwar in den Monaten Juni und Oktober 2005 und Juni 2006 in Höhe von 329,62 €, im Übrigen in Höhe von 370,87 €, jeweils unter Berücksichtigung bereits geleisteter Zahlungen.

3. Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu erstatten.

4. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Klägerin begehrt im Rahmen eines Überprüfungsverfahrens die Gewährung von höheren Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung, insbesondere unter Berücksichtigung des Eckregelsatzes für den Haushaltsvorstand statt des ihr zugestandenen Regelsatzes für einen Haushaltsangehörigen (80 v.H. des Eckregelsatzes) für den Zeitraum von Januar 2005 bis Juli 2006.

Die 1970 geborene Klägerin lebte in der streitigen Zeit in einer Wohnung zusammen mit ihrer Mutter (zugleich Betreuerin), ihrem Vater und ihrem im 1971 geborenen Bruder G. Die Klägerin ist von Geburt an geistig behindert. Bei ihr ist ein Grad der Behinderung (GdB) von 100 anerkannt mit den Merkzeichen "G", "H" und "B". Sie ist seit November 1989 im Arbeitsbereich einer Werkstatt für behinderte Menschen (WfbM) tätig. Dort erhielt sie (jedenfalls von Dezember 2002 bis Juni 2006; für diese Zeit befinden sich Lohnabrechnungen für einzelne Monate in den Akten der Beklagten) als Arbeitsentgelt einen Grundbezug von 67,00 €, einen Steigerungsbetrag von 25,56 € (ab Januar 2005: 26,77 €) und Arbeitsförderungsgeld in Höhe von 26,00 € monatlich. “Sonstige Zulagen„ wurden, soweit ersichtlich, jeweils in den Monaten Juni und Oktober gezahlt, und zwar in Höhe von 55,00 € (Juni 2003: 110,00 €). Ab Januar 2005 sind bei der Klägerin Beiträge zur Pflegeversicherung in Höhe von 1,21 € bzw. ab Januar 2006 in Höhe von 1,23 € monatlich in Abzug gebracht worden.

Die Klägerin erhielt bis Ende 2004 Leistungen nach dem Grundsicherungsgesetz (GSiG). Am 29. November 2004 stellte sie einen Antrag auf Weiterbewilligung von Grundsicherungsleistungen. Diese wurden ihr von der namens und im Auftrag der Beklagten handelnden Stadt H. mit Bescheiden vom 23. März 2005 (für Januar bis Dezember 2005, Zahlbetrag 251,84 € monatlich), 1. August 2005 (ab August 2005 bis auf weiteres, Zahlbetrag 247,26 € monatlich) und vom 14. Dezember 2005 (für Dezember 2005 bis Juli 2006, Zahlbetrag 254,37 € monatlich) bewilligt. Dabei berücksichtigte die Stadt H. den Regelsatz eines Haushaltsangehörigen von 276,00 € un...

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