Entscheidungsstichwort (Thema)
Gesetzliche Unfallversicherung. Unfallversicherungsschutz gem § 2 Abs 1 Nr 4 SGB 7. Mensch mit Behinderung. Mindestmaß an wirtschaftlich verwertbarer Arbeitsleistung. Aufenthalt im Förder- und Betreuungsbereich einer Werkstatt für behinderte Menschen. Verfassungsmäßigkeit. kein Verstoß gegen Art 25 UNBehRÜbk
Orientierungssatz
1. Im Rahmen des § 2 Abs 1 Nr 4 SGB 7 ist zu unterscheiden zwischen Behinderten, die fähig sind, ein Mindestmaß an wirtschaftlich verwertbarer Arbeitsleistung zu erbringen (versicherter Personenkreis), und solchen, die lediglich zur Förderung und Betreuung in anerkannten Werkstätten für behinderte Menschen untergebracht sind (nicht versicherter Personenkreis).
2. Der bloße Aufenthalt im Förder- und Betreuungsbereich, der einer Werkstatt für behinderte Menschen lediglich räumlich und/oder organisatorisch angegliedert ist, fällt nicht unter den Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung, worin auch kein Verstoß gegen Art 3 GG liegt.
3. Eine diskriminierende Vorenthaltung von Gesundheitsleistungen iS des Art 25 UN-BRK (juris: UNBehRÜbk) liegt nicht vor, wenn die Versorgung mit medizinischen Leistungen einschließlich Hilfsmittelversorgung gewährleistet ist.
Tenor
Die Beschwerde der Klägerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Detmold vom 05.08.2014 wird zurückgewiesen.
Gründe
I. Die Beteiligten streiten um die Anerkennung des Unfalls der Klägerin vom 21.11.2012 als Wegeunfall.
Die Klägerin leidet an einer Leukencephalopathie unklarer Genese, Epilepsie und spastischen Tetraparese . Es besteht Pflegebedürftigkeit nach der Pflegestufe 3. Aufgrund der fortgeschrittenen Erkrankung ist die Klägerin nur noch in der Lage, den Kopf eigenständig zu bewegen.
Die Klägerin wird werktags in einer Werkstatt für behinderte Menschen beschäftigt. Hierfür erhält sie eine geringfügige Entlohnung. Auf dem Weg von dieser Werkstatt zu ihrer Wohnstätte für unterstütztes Wohnen verunglückte die Klägerin am 21.11.2012. Dabei zog sie sich einen Bruch des rechten Schienbeins zu. Außerdem wurde ihr Elektrorollstuhl beschädigt.
Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 07.02.2013 (Blatt 8 der Gerichtsakte) die Anerkennung des Unfalls als versicherten Arbeitsunfall/ Wegeunfall ab. Nach Auskunft des Trägers der Behindertenwerkstatt, der X gGmbH, habe bereits zum Zeitpunkt des Unfalls bei der Klägerin ein hoher Assistenzbedarf bestanden. Sie selbst könne keine Tätigkeiten verrichten; sie habe andere Mitarbeiter bei ihrer Tätigkeit lediglich beobachtet und sich bemerkbar gemacht, wenn sie einen Fehler entdeckte. Aufgrund der Ausprägung ihrer Behinderung habe die Klägerin keine wirtschaftlich verwertbare Arbeitsleistung erbringen können. Vor diesem Hintergrund habe bei der Klägerin die Betreuung und Förderung ohne Arbeitsleistung derart im Vordergrund gestanden, dass von einer Beschäftigung im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 4 Sozialgesetzbuch, 7. Buch (SGB VII) und damit einer den Versicherungsschutz begründenden Tätigkeit nicht ausgegangen werden könne. Insoweit sei auch der Arbeitsweg nicht versichert. Auf das Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 18.01.2011 (B 2 U 9/10 R) wurde insoweit Bezug genommen.
Die Klägerin legte über ihren Prozessbevollmächtigten erfolglos mit Schreiben vom 21.03.2013 Widerspruch ein (Widerspruchsbescheid vom 19.02.2014 - Blatt 5 ff. der Gerichtsakte).
Mit ihrer Klage verfolgt die Klägerin weiter das Ziel, den Unfall als Wegeunfall anerkennen zu lassen. Zur Begründung trägt sie vor, dass die Unterscheidung zwischen arbeitsfähigen und nichtarbeitsfähigen Menschen rechtswidrig sei, wie auch in politischen Kreisen in Nordrhein-Westfalen (NRW) verlautbart werde. Insbesondere werde hierdurch ein Verstoß gegen Art. 3 Grundgesetz (GG) begründet. Das von der Beklagten angewandte Rechtsverständnis verstoße auch gegen die in Deutschland ratifizierte UN-Behindertenkonvention. Überdies habe die Beklagte nicht berücksichtigt, dass für alle Mitarbeiter des X Unfallversicherungsbeiträge abgeführt würden, sodass nach Mitteilung der Werkstattleitung alle dort tätigen Personen unfallversichert seien. Die Klägerin habe schließlich zum Unfallzeitpunkt eine wirtschaftlich durchaus verwertbare Arbeitsleistung erbracht, wofür sie auch entlohnt worden sei.
Die Beklagte verteidigt ihre Bescheide. Die Unterscheidung zwischen Behinderten, die fähig sind, ein Mindestmaß an wirtschaftlich verwertbarer Arbeitsleistung zu erbringen, und solchen, die lediglich zur Förderung und Betreuung in anerkannten Werkstätten für behinderte Menschen untergebracht sind, ergebe sich aus dem Gesetz, der Gesetzeshistorie aus der Reichsversicherungsordnung (RVO) und der ständigen Rechtsprechung des BSG. Hierin sei auch kein Verstoß gegen Art. 3 GG zu sehen, wie das BSG bereits entschieden habe (Urteil vom 18.01.2011 - B 2 U 9/10 R). Weitergehende Rechtsansprüche könne die Klägerin auch nicht aus der UN-Behindertenrechtskonvention ableiten, da diese Vorschriften zwar in Deutschland ratifiziert wurden und damit geltendes Recht seien...