Entscheidungsstichwort (Thema)

Insolvenzgeldanspruch. erneutes Insolvenzereignis. andauernde Zahlungsunfähigkeit. freigegebenes Vermögen gem § 35 Abs 2 InsO. Europarechtskonformität

 

Orientierungssatz

1. Bei fortbestehender Zahlungsunfähigkeit des Insolvenzschuldners begründet ein weiteres Insolvenzereignis in Bezug auf das nach § 35 Abs 2 InsO freigegebene Vermögen keine Insolvenzgeldansprüche gem § 165 Abs 1 S 1 SGB 3.

2. Der Auslegung und Anwendung des § 165 Abs 1 SGB 3 zum Vorliegen eines erneuten Insolvenzereignisses steht die EGRL 94/2008 nicht entgegen.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 09.06.2017; Aktenzeichen B 11 AL 14/16 R)

 

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 06.12.2013 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung von Insolvenzgeld streitig.

Die am 00.00.1963 geborene Klägerin war ab dem 01.10.2010 bei Herrn T als Inhaber des D-Pflegedienstes in E (nachfolgend: Arbeitgeber oder Schuldner) als Fachhauswirtschafterin beschäftigt.

Über das Vermögen des Arbeitgebers wurde mit Beschluss des Amtsgerichts F am 01.11.2011 ein Insolvenzverfahren wegen Zahlungsunfähigkeit eröffnet (Az.: 001 IN 00/11). Der Insolvenzverwalter gab im Rahmen dieses Insolvenzverfahrens die selbstständige Tätigkeit des Schuldners, handelnd unter D-Pflegedienst, aus dem Insolvenzbeschlag nach § 35 Abs. 2 der Insolvenzordnung - (InsO) frei (Schreiben des Insolvenzverwalters vom 08.11.2011). Der Schuldner betrieb den Pflegedienst sodann in reduziertem Umfang weiter.

Auf ihren Antrag wurde der Klägerin mit Bescheid der Beklagten vom 11.11.2011 Insolvenzgeld für rückständiges Arbeitsentgelt in den Monaten September und Oktober 2011 i.H.v. 1.614,65 EUR bewilligt.

Einem Arbeitsvertrag vom 15.12.2011 zufolge wurde das zunächst befristete Arbeitsverhältnis der Klägerin mit dem o.a. Arbeitgeber/Schuldner zum 01.01.2012 in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis umgewandelt.

Am 01.08.2012 wurde mit Beschluss des Amtsgerichts F wegen Zahlungsunfähigkeit erneut ein Insolvenzverfahren über das Vermögen des Arbeitgebers, d.h. die im Rahmen des ersten Insolvenzverfahrens freigegebene Tätigkeit betreffend, eröffnet (Az:.001 IN 73/12). Daraufhin beantragte die Klägerin bei der Beklagten am 27.08.2012 erneut die Bewilligung von Insolvenzgeld. Sie machte geltend, dass Arbeitsentgelte für die Monate Juni und Juli 2012 i.H.v. insgesamt 2.473,21 EUR noch offen seien.

Mit Bescheid vom 27.08.2012 lehnte die Beklagte die Bewilligung der beantragten Leistung ab. Zur Begründung hieß es, ein erneutes Insolvenzereignis könne nur dann anerkannt werden, wenn die Zahlungsfähigkeit des Arbeitgebers nach dem ersten Insolvenzereignis wiederhergestellt worden sei. Dies sei hier nicht der Fall gewesen. Allein die Freigabe der selbstständigen Tätigkeit aus der Insolvenzmasse führe nicht zur Wiederherstellung der Zahlungsfähigkeit des Arbeitgebers. Auch sei das erste Insolvenzverfahren noch nicht abgeschlossen und dem insolventen Arbeitgeber eine Restschuldbefreiung bisher nicht erteilt worden.

Den hiergegen am 12.09.2012 eingelegten Widerspruch der Klägerin wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 27.09.2012 als unbegründet zurück. Zur Begründung wurde ergänzend ausgeführt, dass die Wiederherstellung der Zahlungsfähigkeit des Arbeitgebers nicht festgestellt werden könne. Dieser sei nach Freigabe der selbstständigen Tätigkeit in keiner Weise wieder kreditwürdig geworden. Vielmehr seien bereits ab Januar 2012 wieder Verbindlichkeiten aufgetreten, die nicht bedient worden seien. Auch liege keine Auskunft eines Kreditinstituts vor, dass der Arbeitgeber wieder vollumfänglich kreditwürdig gewesen sei. Ebenso liege auch keine Regelung hinsichtlich der Sanierung des Unternehmens vor. Da somit das Insolvenzereignis vom 01.11.2011 für die Beurteilung eines Anspruchs auf Insolvenzgeld maßgebend bleibe und die Klägerin hierfür bereits Insolvenzgeld erhalten habe, sei ein erneuter Anspruch nicht gegeben.

Hiergegen hat sich die Klägerin mit der am 22.10.2012 bei dem Sozialgericht Gelsenkirchen erhobenen Klage gewandt. Sie hat die fehlende Wiederherstellung der Zahlungsfähigkeit des Arbeitgebers bestritten und darüber hinaus geltend gemacht, dass sie im Vertrauen auf die Zahlungsfähigkeit ihre Arbeitskraft weiterhin angeboten habe. Auch habe sie ihre Gehaltszahlungen bis einschließlich Mai 2012 ordnungsgemäß erhalten. Insbesondere habe sie davon ausgehen müssen, dass nach Freigabe der selbstständigen Tätigkeit durch den Insolvenzverwalter letztendlich auch die Zahlung ihrer Vergütung sichergestellt gewesen sei. Es könne nicht sein, dass die Nichtwiederherstellung der Zahlungsfähigkeit, soweit sie belegbar sei, zu ihren Lasten gehe. Anderes könne nur dann gelten, wenn sie Kenntnis von den Zahlungsschwierigkeiten des Arbeitgebers gehabt hätte.

Die Klägerin hat beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 27.08.2012 in der F...

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