Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitslosengeldanspruch. Erfüllung der Anwartschaftszeit. Versicherungspflichtverhältnis. Strafgefangener. Berücksichtigung von allgemeinen arbeitsfreien Tagen. Gleichbehandlung mit Arbeitnehmern
Leitsatz (amtlich)
Bei der Anwartschaftszeit für einen Anspruch auf Arbeitslosengeld (§ 142 Abs 1 SGB III) sind bei versicherungspflichtigen Gefangenen iSv § 26 Abs 1 Nr 4 S 1 SGB III nur die Tage zu berücksichtigen, an denen sie tatsächlich Arbeit gegen Entgelt geleistet haben (vgl § 43 Abs 2 StVollzG). Arbeitsfreie Tage sind nicht zu berücksichtigen; das gilt (entgegen einer früheren Praxis der Bundesanstalt für Arbeit) auch für Wochenenden und Feiertage, die von Tagen mit tatsächlicher Arbeitsleistung umrahmt werden.
Orientierungssatz
Eine verfassungswidrige Ungleichbehandlung zwischen arbeitenden Strafgefangenen und Arbeitnehmern in einem freien Beschäftigungsverhältnis liegt nicht vor.
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 29.01.2014 aufgehoben und die Klage abgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten, ob der Kläger nach einer während der Strafhaft ausgeübten Arbeit (§§ 41, 43 StVollzG) Anspruch auf Arbeitslosengeld hat.
Der 1975 geborene Kläger war jedenfalls ab dem 12.06.2011 nicht versicherungspflichtig beschäftigt. Seit dem 25.04.2012 befand er sich in der Justizvollzugsanstalt (JVA) C in Strafhaft. Dort arbeitete er im Rahmen des Strafvollzugs zwischen dem 09.05.2012 und dem 07.06.2013 an den Werktagen; ausgenommen hiervon waren Freitag, der 18.05.2012, Freitag, der 08.06.2012, Freitag, der 21.09.2012, Freitag, der 02.11.2012, die Zeit vom 19.12.2012 bis (einschließlich) 31.12.2012, Dienstag, der 26.03.2013, Donnerstag, der 02.05.2013 und Freitag, der 03.05.2013 sowie Freitag, der 31.05.2013. An den Wochenenden und an den nordrhein-westfälischen gesetzlichen Feiertagen arbeitete der Kläger nicht. Am 11.06.2013 wurde er (unter Vorverlegung des Entlassungszeitpunktes um sechs Tage gemäß § 43 StVollzG) aus der Haft entlassen.
Am 11.06.2013 meldete sich der Kläger bei der Beklagten mit Wirkung zum 12.06.2013 arbeitslos und beantragte Arbeitslosengeld. Er legte eine Arbeitsbescheinigung der JVA vom 10.06.2013 vor, wonach für ihn im Zeitraum vom 09.05.2012 bis zum 07.06.2013 für insgesamt 342 Kalendertage Versicherungspflicht in der Arbeitslosenversicherung bestanden habe. Dabei bescheinigte die JVA für die Zeit bis zum 14.01.2014 (entsprechend den bis dahin für die Arbeitsbescheinigung geltenden Ausfüllhinweisen der Beklagten, arbeitsfreie Samstage, Sonntage und gesetzliche Wochenfeiertage, die innerhalb eines zusammenhängenden Arbeits- oder Ausbildungsabschnitts liegen, nicht aus der versicherungspflichtigen Zeit herauszurechnen) neben den Tagen einer tatsächlichen Beschäftigung auch die von solchen Tagen umfassten Wochenenden (als jeweils zwei versicherungspflichtige Tage). Für die Zeit ab dem 15.01.2013 bescheinigte die JVA hingegen wegen sodann geänderter Weisungslage der Beklagten (Geschäftsanweisung zu § 26 SGB III - "Versicherungspflicht der sonstigen Versicherungspflichtigen") ausschließlich die Tage als versicherungspflichtige Zeiten, an denen der Kläger tatsächlich eine Beschäftigung ausgeübt hatte (vgl. die Ausfüllhinweise zur Arbeitsbescheinigung gemäß § 312 Abs. 4 SGB III; Anlage 3 zu § 312 SGB III Anhang 2 der Geschäftsanweisung Alg-SGB III).
Mit Bescheid vom 24.06.2013 lehnte die Beklagte eine Leistungsgewährung ab. Der Kläger habe keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld. Denn er sei in den letzten zwei Jahren vor dem 11.06.2013 weniger als zwölf Monate versicherungspflichtig gewesen und habe daher die Anwartschaftszeit nicht erfüllt (§§ 142 und 143 SGB III). Der Kläger legte Widerspruch ein mit der Begründung, seine tatsächlichen Arbeitstage in der JVA seien falsch berechnet worden. Mit Widerspruchsbescheid vom 08.07.2013 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Innerhalb der zweijährigen Rahmenfrist (12.06.2011 bis 11.06.2013) seien - entsprechend der Arbeitsbescheinigung der JVA - nur 342 Kalendertage zu berücksichtigen, in denen der Kläger versicherungspflichtig gewesen sei. Er habe deshalb die Anwartschaftszeit nicht erfüllt, weil er nicht mindestens zwölf Monate (360 Kalendertage) in einem Versicherungspflichtverhältnis gestanden habe.
Hiergegen hat der Kläger am 08.08.2013 Klage vor dem Sozialgericht Duisburg erhoben. Die erforderliche Anwartschaftszeit sei erfüllt. Nach den Lohnscheinen der JVA sei er dort in der Zeit vom 09.05.2012 bis zum 09.06.2013 mit Beitragspflicht in der Arbeitslosenversicherung beschäftigt gewesen; er habe deshalb innerhalb der Rahmenfrist vom 12.06.2011 bis 11.06.2013 mindestens zwölf Monate in einem Versicherungspflichtverhältnis gestanden. Der Arbeitsbescheinigung vom 10.06.2013 sei nicht zu folgen; sie enthalte nur die tatsächlichen Arbeitstage und erfasse damit nicht den gesamten Zeitra...