Entscheidungsstichwort (Thema)

Besitzschutz nach § 88 Abs 2 S 1 SGB 6 für die persönlichen Entgeltpunkte einer Hinterbliebenenrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung nach Abänderung des Versorgungsausgleichs. Tod der im Rahmen eines Versorgungsausgleichs ausgleichsberechtigten Person. Mutwillenskosten im sozialgerichtlichen Verfahren

 

Orientierungssatz

1. Die Vorschrift des § 101 Abs 3 S 1 SGB 6 erfasst nicht die unmittelbare Kürzung von Hinterbliebenenrenten.

2. § 101 Abs 3 SGB 6 verdrängt nicht die zugunsten des Rentenberechtigten greifende besitzschützende Regelung des § 88 Abs 2 SGB 6.

3. Der Besitzschutz des § 88 Abs 2 S 1 SGB 6 erfasst nicht nur die persönlichen Entgeltpunkte, die sich ohne Anwendung von Anpassungs- und Härteregelungen des Versorgungsausgleichsrechts ergeben würden, sondern erstreckt sich vielmehr ausnahmslos auf alle bisherigen persönlichen Entgeltpunkte der Vorrente. Eine Befugnis zur Aufteilung in besitzgeschützte und nicht besitzgeschützte Anteile sieht das Gesetz weder in § 88 SGB 6 noch an anderer Stelle vor (vgl BSG vom 20.1.2021 - B 13 R 5/20 R = BSGE 131, 202 = SozR 4-2600 § 88 Nr 4, RdNr 28, vom 20.3.2013 - B 5 R 2/12 R = SozR 4-2600 § 88 Nr 2 RdNr 18 sowie vom 24.4.2014 - B 13 R 25/12 R = SozR 4-2600 § 88 Nr 3 RdNr 23).

4. Die persönlichen Entgeltpunkte der im Rahmen eines Versorgungsausgleichs ausgleichsberechtigten Person können aufgrund der nach ihrem Tod beantragten und durchgeführten Revision des vorherigen Versorgungsausgleichs auch nicht in ihrem eigenen Versichertenkonto - und damit ggf mit mittelbarer Auswirkung zulasten der hinterbliebenen Person - gemindert werden.

5. Die Revision des Versorgungsausgleichs nach dem Tod der ausgleichsberechtigten Person stellt keine berücksichtigungsfähige wesentliche Änderung iS des § 48 SGB 10 dar.

6. Zur Auferlegung von Mutwillenskosten im sozialgerichtlichen Verfahren.

 

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 22.2.2021 geändert und der Bescheid der Beklagten vom 8.4.2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.8.2020 aufgehoben.

Die Beklagte trägt die erstattungsfähigen außergerichtlichen Kosten des Klägers in beiden Rechtszügen.

Der Beklagten werden Kosten gemäß § 192 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGG i.H.v. 500 Euro auferlegt.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Kürzung der Hinterbliebenenrente des Klägers nach Abänderung des Versorgungsausgleichs seiner verstorbenen Ehefrau aus einer vorigen Ehe.

Die Ehefrau des Klägers (im Folgenden: EF) war erstmalig im Zeitraum vom 1.4.1969 bis 31.7.1989 verheiratet. Mit Scheidungsurteil des Amtsgerichts (AG) Rheinbach vom 26.6.1990 (Az. 6 F 200/89) wurden an sie Rentenanwartschaften ihres damaligen Ehemannes von monatlich 1.323,06 DM übertragen.

Am 26.10.1990 heiratete EF den Kläger. Ab 1.6.2011 bezog sie von der Beklagten eine Regelaltersrente, bei der zuletzt 44,0233 Entgeltpunkte, die in Höhe von 34,4670 auf dem Versorgungsausgleich beruhten, zugrunde gelegt wurden. EF verstarb am 00.10.2018.

Auf den Antrag des Klägers vom 29.10.2018 bewilligte die Beklagte ihm mit Bescheid vom 20.12.2018 ab 1.11.2018 eine große Witwerrente. Den monatlich laufenden Zahlbetrag errechnete sie mit 687,14 Euro. Die hierbei berücksichtigten persönlichen Entgeltpunkte entsprachen denjenigen der zuletzt an EF gewährten Altersrente. Mit weiterem Bescheid vom 22.3.2019 berechnete die Beklagte die Witwerrente aufgrund eines höheren Zuschlags für Kindererziehung (sogenannte Mütterrente) neu. Diese belief sich unter Berücksichtigung von nunmehr 45,0233 Entgeltpunkten auf einen monatlichen Zahlbetrag von 704,29 Euro ab 1.2.2019 bzw. von 705,85 Euro ab 1.3.2019.

Am 17.11.2018 beantragte der geschiedene Ehegatte der EF beim AG Rheinbach, das dortige Urteil vom 26.6.1990 hinsichtlich des Versorgungsausgleichs abzuändern und einen Versorgungsausgleich nicht stattfinden zu lassen (sog. Totalrevision). Diesem Antrag gab das AG Bonn mit Beschluss vom 9.8.2019 mit Wirkung zum 1.12.2018 statt (Az. 410 F 6/19). Die hiergegen vom Kläger erhobene Beschwerde wies das Oberlandesgericht (OLG) Köln mit Beschluss vom 23.1.2020 zurück (Az. 27 UF 150/19). Der Abänderungsantrag sei zulässig, da eine nach § 51 Abs. 1, Abs. 2 Versorgungsausgleichsgesetz (VersAusglG) i.V.m. § 225 Abs. 2, Abs. 3 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der Freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG) wesentliche Wertänderung bei seiner Beamten-/ Soldatenversorgung vorliege. Die Abänderung vollziehe sich im Grundsatz dadurch, dass das Gericht die in den Ausgleich einbezogenen Anrechte nunmehr nach den §§ 9 bis 19 VersAusglG teile. Ergebe die Bilanz der Anrechte dann, wenn ein Ehegatte nach Rechtskraft der Scheidung aber vor Rechtskraft der Entscheidung über den Wertausgleich versterbe, dass der überlebende Ehegatte insgesamt ausgleichspflichtig sei, so finde der Versorgungsausgleich gem. § 31 Abs. 2 VersAusglG nicht statt. Die Vorschrift des § 31 VersAusglG gel...

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