Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialversicherungsfreiheit. Lehrbeauftragter an einer Fernuniversität. Nebentätigkeit. entgeltgeringfügige Beschäftigung. Schätzung des durchschnittlichen Monatsverdienstes für ein Kalenderjahr im Voraus. steuerrechtlich privilegierte Beschäftigung nach § 3 Nr 26 EStG. monatliche Betrachtungsweise
Orientierungssatz
1. Eine abhängige Beschäftigung ist nach § 8 Abs 1 Nr 1 SGB 4 versicherungsfrei, wenn es sich dabei um eine geringfügige Beschäftigung handelt.
2. Für die Beantwortung der Frage, ob das Arbeitsentgelt aus einer Beschäftigung regelmäßig im Monat 400/450 EUR nicht übersteigt, ist für ein (Kalender-)Jahr im Voraus der durchschnittliche Monatsverdienst zu schätzen (vgl LSG Essen vom 9.9.2010 - L 16 KR 203/08).
3. Bei der Nebentätigkeit des Klägers als Lehrbeauftragter an einer Fernuniversität handelt es sich um eine nach § 3 Nr 26 EStG steuerrechtlich privilegierte Beschäftigung. Die Vorgaben des § 8 Abs 1 Nr 1 SGB 4 "regelmäßig in Monat" erfordern zwingend, dass der Begriff "bezogenes Arbeitsentgelt" im gleichen Sinn auszulegen ist, also eine monatliche Betrachtung zu erfolgen hat. Das bedeutet, dass der Jahresfreibetrag der §§ 14 Abs 1 Satz 3 SGB 4 idF vom 19.12.2007, 3 Nr 26 EStG für die Frage der Versicherungsfreiheit ebenfalls in die monatliche Betrachtung einzufließen hat.
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 19. August 2015 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat dem Kläger auch die außergerichtlichen Kosten des zweiten Rechtszugs zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist, ob der Kläger in seiner Nebentätigkeit als Lehrbeauftragter an der Fernuniversität I in den Jahren 2011 bis 2013 (zeitweise) versicherungspflichtig beschäftigt war.
Der 1975 geborene Kläger, seit September 2009 selbständiger Rechtsanwalt, übt seit 2004 eine Nebentätigkeit als Fachmentor an der Fernuniversität I aus. Bis 2008 gingen die Beteiligten einvernehmlich von einer versicherungsfreien geringfügigen Beschäftigung aus. Dementsprechend zog die Beklagte die pauschalen Arbeitgeberbeiträge ein. Nach einem Arbeitsvertrag vom 20.8.2008 hat der Kläger ab dem 1.10.2008 pro Studienjahr eine effektive Arbeitsleistung von 168 Stunden zu erbringen. Ein zusätzlicher zeitlicher Umfang von 14,62 Stunden dient zum Ausgleich für den gesetzlichen Mindesturlaubsanspruch, so dass insgesamt 182,62 Stunden pro Studienjahr mit EUR 26 pro Stunde vergütet werden (zunächst EUR 395,68 monatlich). Die zeitliche Lage der zu erbringenden Arbeitsleistung wird in Absprache mit der Rechtswissenschaftlichen Fakultät festgelegt. Mit Nachtrag vom 22./23.11.2010 wurde die Arbeitszeit vorübergehend (zunächst vom 1.1.2011 bis zum 30.9.2012) um 82,61 Stunden erhöht.
Aufgrund eines Erlasses des Finanzministeriums Nordrhein-Westfalen (NRW) berücksichtigte das Landesamt für Besoldung und Versorgung Nordrhein-Westfalen (fortan: LBV) als Lohnabrechnungsstelle der Fernuniversität I, des Arbeitgebers, den jeweiligen Steuerfreibetrag nach § 3 Nr 26 Einkommenssteuergesetz (EStG) iHv EUR 2100 (bis 31.12.2012) bzw. EUR 2400 (ab 1.1.2013) in den Jahren 2009 bis 2013 nach dem sog. "en bloc-Verfahren". Dies führte dazu, dass der Arbeitgeber bis zur Aufzehrung des jeweiligen Jahresfreibetrages (im April oder Mai des laufenden Jahres) keine (pauschalen) Steuern oder Sozialversicherungsbeiträge zahlte und die Beklagte ab diesem Zeitpunkt Sozialversicherungspflicht annahm, weil die Arbeitsentgeltgrenze für eine geringfügig entlohnte Beschäftigung nach § 8 Abs 1 Nr 1 Viertes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV) nicht (mehr) eingehalten werde.
Mit Schreiben vom 19.8.2010 teilte die Techniker Krankenkasse dem Kläger als früher für ihn zuständig gewesene gesetzliche Krankenkasse mit, dass unabhängig davon, ob der "Übungsleiterfreibetrag" en bloc oder in monatlichen Tranchen abgezogen werde, das nach Abzug des Freibetrags verbleibende Entgelt durch 12 zu teilen sei. Bei einem beitragspflichtigen Jahresarbeitsentgelt von EUR 4796,08(für das Jahr 2010) ergebe sich ein monatliches Entgelt von EUR 399,67, Damit handele es sich um eine geringfügige Beschäftigung. Entsprechende Feststellungen der Techniker Krankenkasse für die Jahre 2009 und 2010 akzeptierte das LBV und ging für diese Jahre (jeweils rückwirkend) von einem versicherungsfreien geringfügigen Beschäftigungsverhältnis aus.
Für den Zeitraum ab 2011 ging die Beklagte indes weiter von Versicherungspflicht ab dem Zeitpunkt der Aufzehrung des Freibetrags aus und teilte dies dem Kläger mehrfach mit. In einem anschließenden Klageverfahren vor dem Sozialgericht (SG) Düsseldorf (Aktenzeichen (Az) S 26 KN 3327/11) verpflichtet sich die Beklagte, über die Versicherungspflicht durch Verwaltungsakt zu entscheiden. Sie stellte sodann förmlich fest, dass der Kläger in seiner Beschäftigung bei der Fernuniversität I ab dem Zeitpunkt der Aufzehrung des jährlichen Freibetrags nach § 3 Nr 26 EStG sozialversicherungspflichtig sei, weil ab diesem Zeitpunkt die En...