Verfahrensgang
SG Koblenz (Urteil vom 23.06.1994; Aktenzeichen S 2 U 284/93) |
Tenor
1. Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Koblenz vom 23.6.1994 wird zurückgewiesen.
2. Der Beklagte hat dem Kläger auch die außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten.
Tatbestand
Streitig ist, ob der Beklagte ermessensfehlerfrei den Antrag des Klägers auf Abfindung seiner Verletztenrente abgelehnt hat.
Der 1954 geborene Kläger erlitt als Schüler am 8.6.1971 einen Wegeunfall, wobei er vor allem eine Trümmerfraktur des linken Unterschenkels davontrug. Wegen der Unfallfolgen („Meßbare Muskelschwäche des linken Ober- und Unterschenkels, mäßige Bewegungseinschränkung im unteren Sprunggelenk links, Verdacht auf beginnende Arthritis im linken Kniegelenk”) bezieht er von dem Beklagten eine Dauerrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 20 % (Bescheid vom Mai 1973).
Im Oktober 1988 trat beim Kläger ein akuter Hinterwandinfarkt mit begleitenden Herzrhythmusstörungen auf. Noch im gleichen Jahr wurde eine coronare Eingefäßerkrankung diagnostiziert. Im Dezember 1989 kam es nach anamnestischen Angaben des Klägers zu einem etwas stärkeren Angina-pectoris-Anfall; bei einer danach stattgefundenen cardiologischen Abklärung wurde ein Infarktrezidiv ausgeschlossen.
Im Februar 1992 beantragte der Kläger bei dem Beklagten die Abfindung seiner Rente. Er teilte mit, er wolle den Abfindungsbetrag zur Rückzahlung eines Betrags von 20.000,– DM, den ihm sein Vater zur Verfügung gestellt habe, und eines Darlehens der Sparda-Bank M. sowie zur Begleichung einer der Verbandsgemeinde R.-P. gegenüber bestehenden Schuldverpflichtung verwenden.
Daraufhin wurde der Kläger im Auftrag des Beklagten von Dr. D. (mit Dr. K.) von der Inneren Abteilung des Krankenhauses Ev. Stift St. M. in K. gutachtlich untersucht. In seinem Gutachten vom Juni 1992 führte Dr. D. aus: Eine Einschränkung der Herzkreislauffunktion sei im Untersuchungszeitpunkt nicht objektivierbar gewesen. Als Risikofaktoren für eine Verschlechterung der Herzkreislauferkrankung seien ein arterieller Bluthochdruck, eine Hyperlipoproteinämie (Fettstoff Wechselstörung) sowie eine geringgradige Hyperurikämie (vermehrte Harnsäure im Blut) vorhanden; seinen Nikotinabusus habe der Kläger mittlerweile eingestellt. Eine Prognose hinsichtlich der Gesundheitsentwicklung und Lebenserwartung sei nicht möglich.
Durch Bescheid vom 23.7.1992 lehnte der Beklagte die Abfindung der Verletztenrente ab. Zur Begründung hieß es: Die Abfindung stehe im pflichtgemäßen Ermessen des Versicherungsträgers. Dabei sei insbesondere zu beachten, ob unfallbedingte oder unfallunabhängige Erkrankungen gegen die Abfindung der Verletztenrente auf Lebenszeit sprächen. In Anbetracht der von Dr. D. festgestellten Gesundheitsstörungen könne eine Abfindung nicht gewährt werden.
Mit seinem Widerspruch hiergegen machte der Kläger geltend: Die Herzkreislauferkrankung sei nicht schwerwiegend und stehe einer Abfindung somit nicht entgegen. Bei einer Untersuchung durch seine Hausärztin hätten die Blutwerte im Normalbereich gelegen. Möglicherweise sei es am Tage der Untersuchung von Dr. D. dadurch zu einer Verfälschung der Blutwerte gekommen, daß er, der Kläger, zuvor ausgiebig gefrühstückt habe.
Im November 1992 teilte die Hausärztin des Klägers, R., dem Beklagten ua mit, die Laborwerte befänden sich im Normalbereich. Dr. D. hielt in seiner ergänzenden Stellungnahme vom Dezember 1992 seine Auffassung aufrecht, es sei nicht abzuschätzen, ob die Herzerkrankung in den nächsten Jahren fortschreiten oder ob der jetzt stabile Zustand anhalten werde; somit müsse die Abfindung der Verletztenrente eine „Ermessensfrage” bleiben.
Im weiteren Verlauf des Widerspruchsverfahrens zog der Beklagte die Akte des Versorgungsamts (VA) Koblenz bei. Dr. D. empfahl in seiner Äußerung vom Mai 1993 eine erneute Blutuntersuchung, die durch die Ärztin R. durchgeführt wurde. Dazu erklärte Dr. D.: Die Blutwerte hätten sich zwischenzeitlich normalisiert. Unabhängig davon sei jedoch festzuhalten, daß beim Kläger bereits in jungen Jahren ein Herzinfarktereignis bei invasivdiagnostisch nachgewiesener koronarer Eingefäßerkrankung aufgetreten sei; deshalb sei die Rentenabfindung eine „Ermessensentscheidung”, die von ihm, dem Gutachter, nicht getroffen werden könne.
Durch Widerspruchsbescheid vom 17.9.1993 wies der Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück. Zur Begründung wurde ausgeführt: Bei Abwägung der Interessen des Klägers mit den öffentlichen Interessen seien insbesondere die Ergebnisse der allgemeinärztlichen Untersuchungen über den Gesundheitszustand und die Lebensumstände zu berücksichtigen. Zum Verlauf der beim Kläger festgestellten Gefäßerkrankung mit damit zusammenhängendem Herzinfarktereignis sei eine langfristige Prognose nicht möglich; nach ärztlicher Einschätzung sei es sowohl möglich, daß sich die Krankheit progressiv entwickele, als auch, daß der jetzt bestehende Zustand beibehalten werde. Aus diesen Gründen werde die Abfi...