Dipl.-Ing. Cornelia von Quistorp
Unter Medikamentenmissbrauch werden sowohl die Einnahme von Medikamenten aufgrund einer bestehenden Abhängigkeit verstanden als auch die missbräuchliche Einnahme nicht abhängigkeitserzeugender Substanzen, um andere oder stärkere Wirkungen als die vorgesehenen zu erzielen.
2.1 Medikamentenabhängigkeit
Medikamentenabhängigkeit tritt häufig bei folgenden Medikamentengruppen auf:
- Schlaf- und Beruhigungsmittel
- Schmerzmittel
- Stimulantien (Aufputschmittel)
Wie bei anderen Suchtmitteln kann es hier zur körperlichen und psychischen Abhängigkeit kommen, die eine ständige, immer höher dosierte Einnahme erfordert. Das geschieht z. T. schon nach kurzer Einnahmedauer, z. B. wenn es nach einer Phase, in der solche Mittel vom Arzt verordnet oder auf eigene Initiative eingenommen wurden, nicht gelingt, diese zügig abzusetzen.
Ähnlich wie bei der Alkoholabhängigkeit kann eine Medikamentenabhängigkeit letztlich in den psychischen und körperlichen Verfall bis hin zum Zusammenbruch führen, auch wenn die sozialen Folgen eher geringer sind. In jedem Fall sinkt die Leistungsfähigkeit mittel- bis langfristig. Kritisch können auch unvermittelt eintretende Schlaf- und Erschöpfungsphasen sein, die bei der unkontrollierten Einnahme von psychoaktiven Substanzen auftreten können.
Medikamentenmissbrauch schwer zu erkennen
Medikamentenmissbrauch ist schwieriger zu erkennen als Alkoholmissbrauch. Hinweise auf Medikamentenmissbrauch sind sehr unspezifisch und können immer auch andere Ursachen haben. Außerdem lässt sich die Einnahme von Medikamenten sehr gut tarnen bzw. unbemerkt vollziehen. Es kommt kaum zu spektakulären "Abstürzen" oder gesellschaftlichen Konsequenzen. Insgesamt sind die Folgen des Medikamentenmissbrauchs eher schleichend und unspektakulär und münden oft in die Diagnose einer chronischen Erkrankung.
Nach Schätzungen gelten 1,5 bis 2 Mio. Menschen in Deutschland als betroffen, wobei Menschen nach dem Erwerbsleben überproportional vertreten sind.
Der Verantwortliche im Betrieb, der einen entsprechenden Verdacht hat, hat grundsätzlich dieselben Interventionsmöglichkeiten zur Verfügung wie bei anderen Suchterkrankungen:
- Den Betroffenen auf wahrgenommene Ausfälle, Probleme u. Ä. ansprechen, alle Vermutungen und Unterstellungen dabei aber unterlassen.
- Auf Hilfsangebote verweisen. Neben außerbetrieblichen Beratungsstellen ist v. a. der eigene Betriebsarzt ein wichtiger Ansprechpartner, ggf. auch betriebliche Suchtbeauftragte.
- Auf medizinische Klärung wahrgenommener oder vom Betroffenen vorgegebener Gesundheitsprobleme dringen.
Konsequente betriebliche Intervention kann dazu beitragen, dass der Betroffene sein Problem ernst nimmt, was der wesentliche erste Schritt einer therapeutischen Behandlung ist.
Ärztliche Beratung unverzichtbar
Da Betroffene, wenn sie auf den Medikamenteneinsatz angesprochen werden, häufig auf bestehenden Behandlungsbedarf verweisen, geht kein Weg an medizinischer Beratung vorbei. Wenn durch den (vermuteten) Medikamentenmissbrauch ernste Sicherheitsbedenken beim Einsatz eines Beschäftigten bestehen, muss diese Frage in Zusammenarbeit mit dem Betriebsarzt und ggf. einem behandelnden Arzt geklärt werden.
Dazu ist die Mitwirkung des Betroffenen erforderlich, der u. a. den behandelnden Arzt dazu von der Schweigepflicht entbinden muss. Ist diese Mitwirkung nicht erkennbar und kann deshalb keine Aussage zu einer Eignung des Betroffenen getroffen werden, kann das in letzter Konsequenz (wenn z. B. eine andere, weniger risikoreiche Tätigkeit nicht zur Verfügung steht) eine Weiterführung des Arbeitsverhältnisses unmöglich machen.
Nicht jedem Medikamentenmissbrauch liegt eine Sucht zugrunde
Wer Abführmittel, Appetitzügler oder Hormone schluckt, um schlank zu bleiben oder Blutdruckmittel, um leistungsfähiger zu sein, gerät nicht in eine körperliche Abhängigkeit. Solche Formen des Medikamentenmissbrauchs führen nicht zu einem unmittelbaren Sicherheitsrisiko, wohl aber für die Betroffenen zu einem erheblichen Gesundheitsrisiko.