Die These "Mitarbeiter verlassen keine Unternehmen, sondern Führungskräfte" ist nicht nur These, sondern Realität in vielen Unternehmen. Es ist in punkto Mitarbeiterbindung schon viel gewonnen, wenn die Führungskräfte ihre Arbeit gut machen. Die Führungskraft ist die Person, die im direkten Kontakt zum Mitarbeiter steht und diesen für individuelle Bindungsmaßnahmen nutzen sollte. Fragen wie: "Hat der Mitarbeiter wirklich einen seinen Fähigkeiten entsprechenden Verantwortungs- und Tätigkeitsbereich? Welches Potenzial besitzt er, wohin möchte er sich entwickeln und wie passt das mit den im Unternehmen vorhandenen Entwicklungsmöglichkeiten zusammen?" sind hier von Bedeutung. Der Mitarbeiter kann erst dann für sich einen individuellen Kompetenznutzen erkennen, wenn seinem Bestreben nach beruflichem Weiterkommen Rechnung getragen wird. Ein Geben und Nehmen von beiden Seiten ist hier die optimale Lösung. Nachwuchsfach- und -führungskräfte können von einer individuellen Betreuung und Beratung, z. B. durch Coaching und Supervision zu beruflichen und persönlichen Themenstellungen profitieren.
Vor allem ist wichtig, dass Führungskräfte Zeit haben und sich Zeit nehmen für ihre Führungsaufgabe. Zeit haben für Führung ist die höchste Art der Wertschätzung, die man zeigen kann, gerade auch, wenn man als Führungskraft im durchgetakteten Alltag wenig Zeit hat. Vorbild in der Führung heißt dann auch, in den Meetings – unabhängig, ob in Präsenz oder digital durchgeführt –, ernsthaft und interessiert ein Stimmungsbild abzufragen und hier mit gutem Beispiel voranzugehen. Mitarbeitende werden sich ermuntert fühlen, ihre eigene Situation ehrlich zu schildern, wenn sie z. B. auch von ihrer Führungskraft hören, wie schwierig Familien- und Berufsalltag zu vereinbaren sind.
Aufgrund der Bedeutung der Führungsqualität sollten Unternehmen diese aktiv steuern. Neben der Vermittlung von Führungskompetenz spielen insbesondere vom oberen Management vorgelebte Führungsleitlinien eine wichtige Rolle und bieten Orientierung in der Führung. Kernaussagen zum erwarteten Führungsverhalten und der Führungsqualität können sich dadurch im Unternehmen manifestieren. Dabei ist das tatsächliche gelebte und von den Mitarbeitern wahrgenommene Führungsverhalten deutlich entscheidender als beschriebene Leitbilder.
Ratsam ist es, Peer-Gruppen zur Führung im Unternehmen zu organisieren, in denen unterstützt von der Personalentwicklung Führungskräfte sich zu aktuellen Führungsfragen im Unternehmen austauschen und voneinander lernen. Grundsätzlich ist dabei für jedes Unternehmen zu reflektieren, wie man den Mix zwischen klassischer transaktionaler Führung hin zu mehr transformationaler Führung bewältigen will, siehe Grafik.
Konsequenz ist schließlich auch gefordert: Führungskräfte, die Führung nicht können oder wollen, sind aus einer Führungsposition zu entfernen, nur dies fördert die Glaubwürdigkeit des Anspruchs von Führung.
Auch wenn Mitarbeiter selbstständig und eigenverantwortlich arbeiten möchten, sind Vorbilder wichtig, von denen sich Führungsverhalten abschauen und lernen lässt. HR-Instrumente wie strukturierte Mitarbeitergespräche und Jobmodelle (siehe Job- und Laufbahnmodelle) helfen, die Führungsarbeit weiter zu professionalisieren.
3.4.2.1 Führung auf Distanz – Homeoffice
Verstärkt durch Krisen wie eine Pandemie, aber auch völlig unabhängig davon durch die Tatsache bedingt, dass viele Unternehmen ihre Mitarbeitenden weltweit im Einsatz haben, wird gute Führung insbesondere über Entfernungen hinweg zum Schlüsselfaktor für erfolgreiche Mitarbeiterbindung. Unternehmen wie z. B. der Versandhändler Otto haben viele Kolleginnen und Kollegen im Homeoffice. Der IT-Chef Müller Wünsch berichtete 2020 auf der Handelsblatt-Tagung zu IT-Management, dass Führung aus der Distanz gelernt sein muss. Die Kommunikation, so der IT-Manager, sei dabei zentral. So werden die Teams regelmäßig zu einem virtuellen "Good Morning Coffee" eingeladen, um im Alltag mit den vielen Videokonferenzen einen Freiraum für Gespräche jenseits des Geschäfts zu schaffen. Egal, in welchem Ressort, in welcher Abteilung, die dauerhafte Steuerung virtueller Teams ist eine Herausforderung.
Mit Beginn der Corona-Pandemie und der inzwischen gewachsenen Selbstverständlichkeit der Tätigkeit im Homeoffice (HO) sind neue Herausforderungen auf die Arbeitgeber zugekommen. In vielen wissensbasierten Organisationsbereichen haben die Mitarbeitenden die Arbeit im HO als so selbstverständlich und angenehm erlebt, dass sie nicht mehr ins Büro zurück wollen. Deutschland hat traditionell einen hohen Anteil produktionsnaher Tätigkeiten am BIP (Bruttoinlandsprodukt) und auch hier steigt der Anteil der wissensbasierten Berufe. Noch stärker steigt der Anteil der Wissenarbeiter im wachsenden Dienstleistungssektor und beide Entwicklungen führen zu einer arbeitsteiligen Möglichkeit der Zusammenarbeit, die für das Arbeiten im HO förderlich war und ist.
Viele Mitarbeitende wollen deshalb dauerhaft im HO bleiben, ganz im Gegenteil zu den Wünschen vieler Arbeitgeber, ...