Von der unternehmerischen Freiheit umfasst ist ebenfalls das Recht eines Arbeitgebers, eine allgemeine Neutralitätspolitik in seinem Unternehmen zu verfolgen. Es gibt jedoch gewisse Anforderungen bzw. bestimmte Voraussetzungen, unter denen Unternehmen diese Neutralitätspolitik verfolgen können.
2.1 Kundenwünsche als Anlass
Softwaredesignerin mit Kopftuch
Die X-GmbH bietet ihren Kunden Beratungsleistungen im Bereich Digital Transformation an und beschäftigt Arbeitnehmerin A als Softwaredesignerin, die gläubige Muslimin ist und bei der Arbeit ein Kopftuch trägt. Im Rahmen ihrer Tätigkeit hat A immer wieder Kundenkontakt. Im Anschluss an einen Einsatz beim Kunden teilt der Kunde K der X-GmbH mit, dass er zukünftig von Mitarbeitern ohne Kopftuch betreut werden möchte.
Kann die X-GmbH die Kundenbeschwerde als Anlass für die Einführung einer Neutralitätsordnung im Unternehmen nehmen?
Allein der Kundenwunsch des K reicht hier nicht aus.
Rein subjektive Erwägungen des Arbeitgebers wie der Wille des Arbeitgebers nach Neutralität oder Kundenwünsche reichen zur Einführung einer Neutralitätsordnung nicht aus, sondern das Nichttragen religiöser oder weltanschaulicher Zeichen muss objektiv von der Art der betreffenden Tätigkeit oder den Bedingungen ihrer Ausübung vorgegeben sein. Insbesondere dürfen einer Neutralitätsordnung keine diskriminierenden Forderungen von Kunden zugrunde liegen.
Softwareentwicklerin mit Kopftuch
Im o. g. Beispielsfall ist nicht verständlich, weshalb A bei Ausübung ihrer Tätigkeit nicht ein religiöses Symbol tragen können sollte, da die Beratungsleistung vollkommen unbeeinflusst von der Religion erbracht werden kann. Die X-GmbH erbringt Beratungsleistungen im Bereich Digital Transformation, sodass nicht erkennbar ist, dass und inwieweit religiöse oder weltanschauliche Überzeugungen eines Mitarbeiters irgendeinen – positiven oder negativen – Einfluss auf die Beratungsleistungen haben könnten.
2.2 Wirkliches Bedürfnis des Unternehmens
Vielmehr bedarf es eines wirklichen Bedürfnisses des Arbeitgebers. Ein wirkliches Bedürfnis kann in objektivberechtigten Kundenerwartungen bestehen, die ihrerseits aber nicht diskriminierend sein dürfen, also z. B. das Recht der Eltern, die Erziehung ihrer Kinder entsprechend ihrer eigenen religiösen oder weltanschaulichen Überzeugung sicherzustellen. Zudem muss der Arbeitgeber nachweisen, dass ohne Einführung einer Neutralitätsordnung seine unternehmerische Freiheit beeinträchtigt würde, da er andernfalls mit Nachteilen zu rechnen hätte.
Unklar ist, in welchen Fällen ein solches wirkliches Bedürfnis besteht und wie ein Arbeitgeber dieses in der Praxis nachweisen kann.
Zu berücksichtigen ist ferner, dass eine abstrakte Gefahr eines Nachteils nicht ausreichend ist, sondern es muss eine konkrete Gefahr oder Beeinträchtigung vorliegen (z. B. in Form von Spannungen, Störungen von Kundenbeziehungen oder wirtschaftlichen Einbußen). Eine konkrete Gefahr könnte z. B. vorliegen, wenn Dienstleistungen oder Produkte den Kontakt mit anderen Glaubens- oder Kulturkreisen bedingen, eine bestimmte kulturelle Authentizität oder eine auf genereller Diskretion basierende Neutralität verlangen.
Letztlich ist festzuhalten, dass eine unternehmerische Neutralitätsordnung nur in eng begrenzten Ausnahmefällen Bestand haben wird, weil in der Regel das unternehmerische Interesse an der Gewinnerzielung hinter dem Recht des Arbeitnehmers, seine religiösen Überzeugungen zu bekennen, zurücktreten muss.
Im Grunde kommen daher nur "zwei" Hauptfallgruppen als Rechtfertigung für ein Verbot zum Tragen weltanschaulicher, religiöser und politischer Kriterien in Betracht:
Erzieherische/pädagogische Gründe: In Einrichtungen mit unmittelbarem Kontakt und Vorbildfunktion für Kinder/Jugendliche, wie Schulen oder Kindergärten, können religiöse Neutralitätsgebote aus erzieherischen Gründen gerechtfertigt sein.
Neutralität in der Kita
Die Kita K möchte religiöse und weltanschauliche Neutralität wahren; die Eltern, die ihre Kinder zur Betreuung in ihre Kita geben, sollten davon ausgehen können, dass in ihrer Kita eine nach weltanschaulichen, religiösen und politischen Kriterien neutrale und wertfreie Erziehung erfolge.
Das Recht der Eltern, die Erziehung ihrer Kinder entsprechend ihrer eigenen religiösen oder weltanschaulichen Überzeugung sicherzustellen, kann ein "wirkliches Bedürfnis" nach einem neutralen Auftreten darstellen.
Arbeitsschutz- und Gesundheitsschutzgründe: Wenn religiöse Bekleidung oder Accessoires objektiv geeignet sind, die Gesundheit oder Sicherheit der Beschäftigten oder Dritten zu gefährden, können Beschränkungen erlaubt sein.
ACHTUNG: Diese Fallgruppe betrifft aber rein den Arbeitsschutz und erfolgt nicht, um ein nach außen neutrales Erscheinungsbild abzugeben!
In allen anderen Bereichen der Arbeitswelt, gerade im normalen Verwaltungs- und Wirtschaftsbereich, dürften religiöse Symbole und...