Auch Nudging macht sich Erkenntnisse aus der Verhaltensökonomie zunutze, ergänzt durch Forschungsergebnisse aus der Psychologie.

3.1 Denken in Systemen

Erstens: Menschen denken in unterschiedlichen kognitiven Systemen.

  • System 1: Das automatische System erlaubt schnelles und intuitives Denken, welches sowohl durch Instinkte und Emotionen als auch durch Gewohnheiten aktiviert wird.
  • System 2: Mit dem reflektierten System werden Entscheidungen durchdacht und bewusst gefällt.

In den meisten Situationen dominiert System 1. Selbst bei Entscheidungen mit weitreichenden Konsequenzen vertraut man unbewusst dem automatisierten System.

Zweitens: Menschen folgen bei ihren Entscheidungen verschiedenen Entscheidungslogiken und nutzen äußere Parameter für ihre Wahl von Optionen. Beides wird durch das bevorzugte Denken in System 1 getriggert und geschieht oft unbewusst.

3.2 Einflussgrößen bei Entscheidungsfindungen

Folgende Einflussgrößen bei Entscheidungsfindungen sind empirisch gut belegt:

3.2.1 Urteilsheuristiken

Menschen nutzen Urteilsheuristiken als Methode der Erkenntnisgewinnung und zur Urteilsfindung, die zu Wahrnehmungsverzerrungen und damit zu "falschen" Entscheidungen führen können. Solche kognitiven Verzerrungen erlauben eine Vereinfachung von Informationen, die für eine Entscheidung herangezogen werden, und reduzieren somit die Komplexität der Entscheidungssituation. Somit kommt man schnell und ressourcensparend zu einem Urteil (das nicht immer den Tatsachen entspricht).

Beispiel für Urteilsheuristiken:

Informationen, die leicht verfügbar oder präsent im Kopf sind, werden überbewertet. Dabei wird nicht beachtet, was man alles nicht weiß.

Die bekannten Urteilsheuristiken "Verfügbarkeitsheuristik", "Repräsentativitätsheuristik" und "Ankerheuristik" sind in den Fachbeiträgen "Kognitive Ergonomie" und "Brauchen wir die Gefahr? Zum sicheren Umgang mit Risiken" beschrieben.

3.2.2 Fehleinschätzung von Wahrscheinlichkeiten

Zu den Urteilsheuristiken zählt auch die "Unverwundbarkeitsillusion". Menschen sehen sich selbst als weniger gefährdet an als andere, selbst wenn sie mit ihrem Verhalten zu einer Risikogruppe gehören, wie beispielsweise zu der der Raucher. Die Unverwundbarkeitsillusion besagt: "Mir passiert schon nichts."[1]

Beispiel für Unverwundbarkeitsillusionen:

Hierzu zählen Aussagen wie z. B. "PSA (Persönliche Schutzausrüstung) brauche ich nicht, es ist ja noch nie etwas passiert".

3.2.3 Gewohnheiten, Trägheit

Menschen neigen aus Gründen der Bequemlichkeit und aus Gewohnheit dazu, einen Status quo aufrechtzuerhalten. Außerdem sind sie veränderungsscheu. Entscheidungen schieben sie gern auf. Gute Vorsätze und Absichten werden nicht umgesetzt oder verpuffen. Eine Verhaltensänderung findet selbst dann nicht statt, wenn die Kosten der Alternative geringer und der Nutzen größer sind.

Beispiel für Gewohnheiten, Trägheit:

Treppen werden nicht benutzt, wenn Aufzüge vorhanden sind.

3.2.4 Framing und Präsentation

Auch die Art, wie Informationen dargeboten werden, beeinflusst das Verhalten. Ein Informationsangebot, welches im positiven Rahmen (Gewinn-Frame) dargeboten wird, führt eher zu einem erwünschten Verhalten als eine Information, die negative Botschaften enthält (Verlust-Frame). Informationen, die attraktiv dargeboten werden – konkret, auffällig und grafisch ansprechend – führen zu mehr Aufmerksamkeit als abstrakte und nur schwer nachvollziehbare Informationen.

Beispiel für Framing und Präsentation:

Auffällige und attraktiv gestaltete Informationen erhöhen die Kaufwahrscheinlichkeit. Ebenso Preisschilder, auf denen die Preisersparnis für das Produkt eigens ausgewiesen wird.

3.2.5 Soziale Einflüsse und Normen

Die sozial relevante Gruppe eines Menschen (Peergroup) sowie gesellschaftliche Normen haben Einfluss auf Entscheidungen und daraus resultierendes Verhalten. Wenn Mitglieder der Peergroup (z. B. Kollegen) sich in irgendeiner Form verhalten, verhalten wir uns ebenso. Handlungsleitend ist oft auch der Gruppendruck.

Beispiel für soziale Einflüsse und Normen:

Wenn sich alle Kollegen an die Sicherheitsvorschriften halten, wird ein einzelner Mitarbeiter nicht ausscheren. Der umgekehrte Fall gilt mit gewisser Wahrscheinlichkeit aber genauso.

Nudging setzt an diesen empirisch gut belegten menschlichen Verhaltenstendenzen an und zielt mit dem Einsatz von Nudges auf die unbewussten nicht reflektierten Entscheidungen. Um das Verhalten in die gewünschte Richtung zu lenken, wird der physische, psychische und soziale Kontext gestaltet, in dem Entscheidungen fallen, also die "Entscheidungsarchitektur" geformt.

 
Praxis-Beispiel

Nudging

Wird Obst in der Kantine in Griffnähe und ansprechend dargeboten und Kuchen und Gebäck weiter entfernt platziert, greifen Kantinenbesucher eher zu Obst. Ein Spiegel hinter dem Buffet erhöht noch einmal die Wahrscheinlichkeit, zum gesunden Obst zu greifen. Eine Erklärung hierfür könnte sein, dass man sein gesundes Verhalten selbstbestätigend und selbstreferenziell demonstriert bekommt.

Dies ließe sich auch auf den Arbeitsschutz übertragen: Wird PSA dort angeboten, wo sie für eine Arbeitsverrichtung notwendig ist und gebraucht wird, steigt d...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Haufe Personal Office Platin enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge