Bei der Identifikation von internen Talenten stellen sich die Fragen
- wer,
- mit welchen Methoden und Instrumenten diese Talente identifiziert und
- wie diese Identifikation der Talente prozessual im Verlauf z. B. eines Geschäftsjahres systematisiert wird.
Diesen Fragen werden in den folgenden drei Abschnitten beleuchtet.
2.1 Wer identifiziert die Talente?
Ein Grundsatz der Personalentwicklung lautet, dass Personalentwicklung eine nicht delegierbare Führungsaufgabe ist. Konsequenterweise ist die Erstidentifizierung von Talenten Aufgabe der Führungskräfte. Naturgemäß sind die wenigsten Führungskräfte eignungsdiagnostisch ausgebildet und können neben ihrer individuellen Einschätzung gegebenenfalls keine Validierung ihrer Einschätzung vornehmen. Hier kann die Funktionseinheit Personalentwicklung Unterstützung leisten, beispielsweise durch geeignete – verbindliche – Schulungen, in denen der Unterschied von Leistung und Potenzial transparent wird und die Anwendung von Leistungsbeurteilungen und die Einschätzung von Potenzial – am besten anhand der unternehmensspezifischen Instrumente trainiert wird.
2.2 Mit welchen Methoden und Instrumenten werden die Talente identifiziert?
Für die Identifikation eines Talents müssen sowohl Leistung als auch Potenzial betrachtet werden, siehe Abb. 1.
Abb. 1: Leistung versus Potenzial
Die Messung der Leistung ist direkt beobachtbar und kann über Quantität und/oder Qualität beobachtet werden. In vielen Unternehmen bestehen hierzu Instrumente des Performance Management, die es erlauben, die Erreichung von Zielen, das Erfüllen von Erwartungen und Arbeitsanforderungen zu dokumentieren und so zu einer Bewertung der Leistung zu kommen.
Die Einschätzung des Potenzials ist weitaus schwieriger, handelt es sich bei Potenzial doch nicht um eine beobachtbare Leistung, sondern um eine noch nicht ausgeschöpfte Möglichkeit, eine Fähigkeit zur Entwicklung. Konsequenterweise kann dies nur vermutet oder geschätzt werden. Es hat sich in der Praxis bewährt, dass eine Ersteinschätzung des Potenzials durch die jeweiligen disziplinarischen Vorgesetzten vorgenommen wird.
In Abbildung 2 sehen Sie ein Beispiel, wie ein Instrument zur Einschätzung von Leistung und Potenzial aussehen könnte, die Kriterien der Leistungsbeurteilung und der Potenzialeinschätzung sollten fachlich korrekt UND auf das Unternehmen zugeschnitten sein.
Abb. 2: Beispiel für eine Leistungs-/Potenzialeinschätzung
In so genannten Portfoliorunden (häufig auch Personaldurchsprachen, Potenzialeinschätzungsrunden oder Talent-Reviews genannt) werden alle relevanten Mitarbeiter in Abhängigkeit von ihrer Hierarchieebene in einem Portfolio dargestellt (siehe Abb. 3) und das Gesamtbild vom verantwortlichen Management besprochen.
Die Praxis zeigt immer wieder, dass sich zu günstige oder zu kritische Einschätzungen einzelner Führungskräfte in den jeweiligen Diskussionen relativieren.
Zudem kalibrieren sich die Führungskräfte untereinander dahingehend, wer ein Potenzial- bzw. Leistungsträger oder ein Talent ist und wie diese abstrakten Definitionen sich in der Praxis ausprägen können.
Abb. 3: Aggregiertes Personalportfolio
Welche Konsequenzen aus dem Portfolio für die einzelnen Kandidaten erwachsen, beleuchten wir im Kapitel "Förderung unter Berücksichtigung der Portfolio-Ergebnisse".
2.2.1 Potenzialanalyse zur Validierung der Ergebnisse
Häufig werden die Ergebnisse einer derartigen Potenzialeinschätzung durch wissenschaftliche Verfahren untermauert. Auf dem Markt verfügbare psychologische Tests zur Potenzialanalyse fokussieren in erster Linie auf Potenzialtreiber, d. h. messbare Eigenschaften, wie z. B.
- Lernfähigkeit,
- Leistungsmotivation
- oder Intelligenz,
die die Umsetzung von Potenzial in Verhalten begünstigen. Kritisch anzumerken bleibt an dieser Stelle, dass die marktüblichen Potenzialanalyseverfahren auf wissenschaftlich abgesicherten Kriterien fußen, die im Normalfall einer sehr starken Korrelation unterliegen, aber keine Kausalität begründen.
Mit anderen Worten: Es besteht ein nachweislicher Zusammenhang von Kriterien (z. B. der Schul-Abschlussnote in Mathematik und dem Berufserfolg) – damit ist aber nicht ausgesagt, dass eben diese Kriterien kausal den Berufserfolg verursachen.
Das stark vereinfachte Beispiel von eben aufgegriffen, ergeben sich zum Beispiel Fragen wie die Folgenden:
- Haben alle guten Mathematiker einen hohen Berufserfolg?
- Gibt es auch Menschen mit hohem Berufserfolg, die keine guten Schul-Abschlussnoten in Mathematik aufweisen?
- Hat sich die Anforderung an Tätigkeiten seit der letzten Erhebung des statistischen Zusammenhangs verändert, so dass die Mathematiknote ggf. eine untergeordnete Rolle spielt?
Weiterhin stellt sich die Frage, wie man ggf. mit voneinander abweichenden Ergebnissen umgeht. Was also, wenn eine Kandidatin laut Potenzialeinschätzung durch Ihre Führungskraft sich bewährt hat, in der Portfoliorunde bestätigt wurde, aber in der Potenzialanalyse ein abweichendes Bild zeigt? Aus praktischer Erfahrung ist ein schlichtes "follow the science" nicht immer der richtige Weg. Zu viele Beispiele der Praxis – die aus wissenschaftlicher Sicht anekdotisch sein mögen, für die Unternehmen aber erfolgskritisch...