Dipl.-Psych. Julia Scharnhorst
Gerade Menschen mit familiären Verpflichtungen – Eltern oder pflegende Angehörige – leiden häufig unter starren, unflexiblen und langen Arbeitszeiten. Viele junge Eltern würden gerne für eine begrenzte Zeit ihr berufliches Engagement zurückschrauben und weniger Zeit arbeiten.
3.3.1 Familienfreundliche Arbeitszeiten für Eltern
Traditionell reduzieren immer noch eher Mütter ihre Arbeitszeiten, das hängt auch damit zusammen, dass Männer häufig das höhere Einkommen haben. Die Zeiten ändern sich aber, auch Väter wollen mehr Zeit mit ihren Kindern verbringen und sich um die Familie kümmern. Insgesamt empfinden immer noch ca. 70 % der Eltern mit Kindern unter 18 Jahren, dass sich Familie und Beruf nicht gut miteinander vereinbaren lassen. Flexiblere Arbeitszeiten können enorm zur Entlastung beitragen. Wenn familienfreundliche Arbeitszeiten eingerichtet werden, sollten sich die Angebote also gleichmäßig an Frauen und Männer richten. Abb. 4 zeigt die Wünsche von Vätern an ihr berufliches Engagement auf.
Abb. 4: Wünsche junger Väter an ihr berufliches Engagement
Empfehlungen zur Gestaltung einer familienfreundlichen Arbeitszeit:
- vollzeitnahe Teilzeitstellen (80–90 % der regulären Arbeitszeit), auch für Führungspositionen,
- Teilzeitmodelle, die ganze freie Tage und Arbeitstage beinhalten und nicht nur halbe Tage,
- Möglichkeit zur Arbeit im Homeoffice,
- flexible Arbeitsstrukturen, sowohl während eines Arbeitstags als auch über die Woche hinweg,
- Verfügungsrecht über die Arbeitszeit,
- Zeitwertkonten,
- variabler Arbeitsumfang,
- Arbeit zu Randzeiten (frühmorgens, abends kurz vor dem Wochenende) sollten vermieden werden,
- individuelle Lösungen, die der Situation in der Familie gerecht werden.
Zu den besonders hilfreichen flexiblen Arbeitszeiten gehören Gleitzeit, Funktionszeiten und Vertrauensarbeitszeit.
Gleitzeit: Zeitspanne außerhalb der festen Kernarbeitszeit, in der Beschäftigte Arbeitsbeginn und -ende frei wählen können.
Funktionszeit: Eine feste Kernzeit entfällt komplett. Statt einer festen Anwesenheitspflicht muss nur die Funktionsfähigkeit des Arbeitsbereichs garantiert werden.
Vertrauensarbeitszeit: Beschäftigte können ihre Arbeitszeit autonom und selbstverantwortlich gestalten.
Verlässliche Arbeitszeiten einhalten
Vereinbarte Arbeitszeiten sollten nicht kurzfristig geändert werden! Eine weitere Besprechung oder eine ungeplante Schicht können den gesamten Plan für die Kinderbetreuung umwerfen und damit akuten Stress auslösen. Gerade junge Eltern brauchen eine Vorhersehbarkeit und Planbarkeit ihrer Arbeitszeit.
Nutzung familienfreundlicher Arbeitszeiten bewerben
Es reicht nicht, familienfreundliche Arbeitszeiten zur Verfügung zu stellen. Eltern sollten von ihren Führungskräften und der Personalabteilung auch aktiv dazu ermuntert werden, diese in Anspruch zu nehmen. Gerade für Männer gilt es immer noch als Karrierehemmnis, wegen der Familie die Arbeitszeit zurückzuschrauben. Dabei sind Beschäftigte mit ihrer Arbeit deutlich zufriedener, wenn sie in der Nutzung familienfreundlicher Maßnahmen bestärkt werden.
3.3.2 Arbeitszeiten für pflegende Angehörige
Ungefähr 4,17 Mio. Menschen werden zu Hause gepflegt (Stand 2021), davon 3,12 Mio. Pflegebedürftige von Angehörigen. Von den 40- bis 59-Jährigen, die ein Familienmitglied pflegen, sind fast 80 % erwerbstätig. Ein Zeichen für die mangelnde Vereinbarkeit von Pflege und Beruf ist, dass insbesondere Frauen neben der Pflege oft nur in Teilzeit arbeiten (können). Dies bestätigt sich auch in Umfragen, bei denen über 80 % der pflegenden Angehörigen angeben, dass sich Pflege und Arbeit nicht so gut vereinbaren lassen.
Die Situation pflegender Angehöriger unterscheidet sich spürbar von der Situation junger Eltern:
- Pflegebedürftigkeit tritt häufig sehr plötzlich auf, z. B. durch einen Sturz oder eine schwere Erkrankung. Angehörige haben so nur sehr wenig Zeit, sich auf die neue Situation vorzubereiten. Eltern dagegen haben mehrere Monate Zeit, um sich vorzubereiten und in den allermeisten Fällen ist die Elternschaft ja auch gewünscht.
- Der Pflegebedarf bei älteren oder behinderten Angehörigen ist meist völlig unplanbar. Es lässt sich nicht vorhersagen, wie lange die Situation andauern wird oder wann eine Verschlechterung eintritt. Durchschnittlich dauert der Pflegebedarf 8 Jahre.
- Gerade wenn es um die Pflege der eigenen Eltern geht, ist das auch emotional stark belastend und kann zu Konflikten führen, weil sich die Rollen von versorgender und versorgter Person umkehren.
- Häufig besteht zumindest am Anfang der Pflege ein großes Informationsdefizit und auch ein Netzwerk zur Versorgung muss erst aufgebaut werden.
Viele Pflegende wollen aber ganz bewusst nicht auf ihre Erwerbstätigkeit verzichten. Das hat einerseits natürlich finanzielle Gründe, andererseits bietet die Arbeit auch eine Möglichkeit der Ablenkung und Anerkennung.
Diese starke Doppelbelastung kann sich sowohl psychisch als auch körperlich auswirken und zu häufigeren schweren Erkrankungen führen.