Dipl.-Ing. Cornelia von Quistorp
Die zentralen Traditionen des Islam legen fest, dass der 9. Monat des islamischen Mondkalenders ein Fastenmonat sein soll. Er verschiebt sich wegen der gegenüber den Kalendermonaten kürzeren Mondmonate um zehn oder elf Tage pro Jahr Richtung Jahresanfang. Diese Zeit dient für Muslime der Besinnung und Erneuerung ihres Glaubens, in der sie bemüht sein sollten, ein insgesamt gottgefälliges Leben zu führen und alles Schlechte zu unterlassen. Religiös motivierte Verhaltensvorgaben werden daher in dieser Zeit u. U. enger ausgelegt als sonst, was evtl. im betrieblichen Alltag spürbar sein kann. Neben dem Fasten sind Moscheebesuche und Koranstudium, Spenden und v. a. bewusstes Leben in der muslimischen Gemeinschaft (Familie, Freunde, Nachbarschaft) wichtig. Daher wird das abendliche Fastenbrechen, wenn eben möglich, in größerem Kreise begangen und festlich gestaltet, was erheblich Zeit und Aufwand in Anspruch nimmt.
Gefastet wird nach den Vorgaben des Korans grundsätzlich von Sonnenauf- bis Sonnenuntergang, wobei in dieser Zeit auf Essen, Trinken, Rauchen und andere Formen des "Genusses" verzichtet wird. Bestimmte Gruppen sind vom Fastengebot ausgenommen, u. a. Schwangere, Stillende, Alte, Kranke und Reisende. Nach Möglichkeit sollten Betroffene die versäumten Fastentage aber später nachholen.
Im Detail weichen die Auslegungen der Fastengebote in verschiedenen islamischen Kulturen und Überlieferungen voneinander ab. In islamisch geprägten Ländern Afrikas ist es wohl durchaus akzeptierte Praxis, dass bei harter körperlicher Arbeit und/oder großer Hitze eine gewisse Menge Wasser, Obst oder auch Vitamin- und Mineralstoffpräparate aufgenommen werden dürfen, ohne dass das als unzulässiges Fastenbrechen gilt. Dagegen gibt es andere Lehrmeinungen, die gerade besonders schwierige Umstände beim Fasten als wichtige Herausforderung ansehen, der in keinem Fall ausgewichen werden darf. So werden sogar für Orte im hohen Norden Europas, an denen im Sommer die Sonne nicht untergeht, Fastenregeln herausgegeben, obwohl die jahreszeitlich stark schwankende Tageslänge ein Phänomen darstellt, das in den Ursprungsländern des Islams so gar nicht besteht.
Religionsfragen sind nicht Sache des Betriebes
Es ist sicher gut und empfehlenswert, mit muslimischen Mitarbeitern betriebsrelevante Fragen rund um die Fastenzeit in wertschätzender Form zu besprechen. Das kann dazu beitragen, das Arbeitssicherheitsniveau und die Unternehmenskultur gleichermaßen zu verbessern (s. u. Kap. 4). Allerdings sollte man als Betriebsvertreter unbedingt eine Diskussion über die Auslegung der Fastengebote im Einzelnen vermeiden, z. B. die Frage, ob denn nicht doch an besonders heißen bzw. anstrengenden Sommertagen Wasser getrunken werden darf. Angesichts der Vielfalt der islamischen Lehrmeinungen dazu, sind Einlassungen eines Unternehmens zu solchen glaubenspraktischen Fragen in keiner Weise angebracht oder zielführend.
Wie viele Muslime in Deutschland tatsächlich die Fastengebote praktizieren, ist nicht genau festzumachen und abhängig von der Herkunft und den gesellschaftlichen Zusammenhängen, in denen Muslime hier leben. Man kann aber davon ausgehen, dass deutlich mehr als die Hälfte den Monat Ramadan aktiv begeht und die Fastengebote achtet. Der gesellschaftliche Stellenwert dieser religiösen Praxis ist entsprechend hoch, weswegen sich viele Muslime kaum vorstellen können, davon aus wie auch immer begründeten gesundheitlichen oder gar betrieblichen Erwägungen zu verzichten.