Entscheidungsstichwort (Thema)
Aufhebung der Bewilligung von Arbeitslosengeld für die Vergangenheit wegen Einkommenserzielung. unterbliebene Anhörung im Zusammenhang mit der Anwendung des § 330 Abs 3 SGB 3. fehlende Begründung des Ermessensnichtgebrauchs. Anforderungen an die wirksame Nachholung der Anhörung im sozialgerichtlichen Verfahren
Leitsatz (amtlich)
1. Für die Anwendbarkeit von § 330 Abs 3 S 1 SGB III ist es ausreichend, wenn die Voraussetzungen eines der vier in § 48 Abs 1 S 2 SGB X genannten Vertrauensausschlusstatbestände gegeben sind.
2. Zur Frage, ob die Behörde im eingreifenden Verwaltungsakt selbst zu dokumentieren hat, dass sie erkannt hat, dass ihr ein Ermessen bezüglich des Absehens von einer Anhörung zusteht und welche Ermessensgesichtspunkte sie bei ihrer Entscheidung berücksichtigt hat, oder ob es ausreicht, wenn die Behörde ihre Gründe spätestens im gerichtlichen Verfahren offenlegt.
3. Zum Erfordernis einer abschließenden Äußerung der Beklagten zum Ergebnis einer im Gerichtsverfahren nachgeholten Anhörung des Klägers.
Tenor
I. Auf die Berufung des Klägers werden das Urteil des Sozialgerichtes Chemnitz vom 22. November 2012 sowie der Änderungsbescheid und der Erstattungsbescheid der Beklagten jeweils vom 21. Februar 2011, beide in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. März 2011, aufgehoben.
II. Die Beklagte hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers in beiden Instanzen zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger wendet sich mit der zugelassenen Berufung gegen die Rückforderung von
Arbeitslosengeld für den Monat Dezember 2010 in Höhe von 712,50 EUR.
Der 1968 geborene, damals in Z... wohnhafte Kläger war vom 1. Juli 2008 bis zum 31. März 2010 als Kfz-Sachverständiger beschäftigt. Mit Bescheiden vom 6. April 2010 und 9. April 2010 bewilligte die Beklagte ihm vorläufig Arbeitslosengeld ab dem 1. April 2010 für die Dauer von 300 Tagen in Höhe eines täglichen Leistungsbetrags von 29,92 EUR. Im Bescheid vom 9. April 2010 ist ein Grund für die vorläufige Bewilligung nicht angegeben.
Mit Bescheid vom 2. Juni 2010 wurden dem Kläger die Leistungen endgültig bewilligt.
Im Oktober 2010 reichte der Kläger bei der Beklagten eine Erklärung zu selbständiger Tätigkeit ein. Danach war er am 15. und 16. August 2010 im Umfang von insgesamt sechs Stunden als Unfallsachverständiger für das Landgericht Z... tätig, wofür er 542,64 EUR in Rechnung stellte. Der Kläger erklärte, dass er zurzeit Verluste habe, weil die Ausgaben für Weiterbildung die Einnahme aus selbständiger Tätigkeit überstiegen. In Bezug auf die Aufwendungen für die Weiterbildung legte er eine Rechnung für die Teilnahme an einem Grundlehrgang Unfallrekonstruktion, der an drei Terminen von April bis Juni 2010 jeweils an vier Tagen in der Eifel stattfand, in Höhe von 3.213,00 EUR sowie mehrere Rechnungen von Beherbergungsbetrieben vor.
Daraufhin erließ die Beklagte den Änderungsbescheid vom 2. November 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. Januar 2011, in dem sie im August 2010 Einkommen in Höhe von 154,20 EUR anrechnete. Als Rechtsgrundlage wurde im Widerspruchsbescheid unter anderem § 48 des Sozialgesetzbuches Zehntes Buch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - (SGB X) angegeben. Die hiergegen gerichtete Klage wies das Sozialgericht Z... mit Urteil vom 30. Juni 2011 (Az. S 52 AL 336/11) ab. Die Nichtzulassungsbeschwerde wies das Landessozialgericht Z... mit Beschluss vom 24. August 2011 (Az. L 18 AL 235/11 NZB) zurück, die anschließende Anhörungsrüge verwarf es mit Beschluss vom 27. September 2011 (Az. L 18 AL 266/11 NZB RG) als unzulässig.
Im Februar 2011 reichte der Kläger eine weitere Erklärung zu selbständiger Tätigkeit ein. Danach war er vom 10. bis zum 12. Dezember 2010 im Umfang von vier Stunden und vom 13. bis zum 17. Dezember 2010 im Umfang von zwölf Stunden als Unfallgutachter tätig. Die Rechnungsbeträge beliefen sich auf 551,57 EUR beziehungsweise 940,10 EUR. Die Beträge seien jedoch noch nicht bezahlt.
Unter dem 21. Februar 2011 erließ die Beklagte zwei Bescheide. Mit dem Änderungsbescheid, der die verbleibende Anspruchsdauer von 60 Tagen betraf, setzte sie den Leistungsbetrag für die Zeit vom 1. Dezember 2010 bis zum 31. Dezember 2010 wegen der Anrechnung von Nebeneinkommen auf 6,17 EUR fest. Zur Begründung wurde angegeben, der Bewilligungsbescheid werde "gemäß § 48 SGB X geändert, weil wesentliche Änderungen in den Verhältnissen eingetreten sind." Für die Zeit vom 1. bis zum 30. Januar 2011 verblieb es bei dem täglichen Leistungsbetrag von 29,92 EUR. Mit dem Erstattungsbescheid forderte die Beklagte den Kläger unter Verweis auf die teilweise Aufhebung der Arbeitslosengeldbewilligung auf, den überzahlten Betrag in Höhe von 712,50 EUR zu erstatten.
Der nunmehr anwaltlich vertretene Kläger legte gegen beide Bescheide mit Schriftsatz vom 1. März 2011 Widerspruch ein. Er rügte, dass keine Anhörung erfolgt sei. In der Sache sei zweifelhaft, ob bereits jetzt eine Be...