Entscheidungsstichwort (Thema)
Überprüfungsverfahren. Rücknahme eines rückwirkenden Rücknahme- und Erstattungsbescheides. Vertrauensschutz. Ermessen. Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung. Hinzuverdienst. Falsche Angaben. Grob fahrlässige Unkenntnis der Rechtswidrigkeit. Hilfebedürftigkeit nach dem SGB II
Leitsatz (amtlich)
Auch im Überprüfungsverfahren nach § 44 SGB 10 kann sich die Rechtswidrigkeit eines Rücknahme- und Erstattungsbescheides aus der Verletzung vertrauensschützender Vorschriften oder aus Ermessensfehlern ergeben.
Orientierungssatz
1. Zum Vertrauensschutz des § 45 SGB 10, wenn die Rechtswidrigkeit eines Bescheides über die Bewilligung einer Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung mit Berücksichtigung von Erwerbseinkommen aus einer vom Arbeitgeber ausgestellten Verdienstbescheinigung resultiert.
2. Zum Leitsatz vgl BSG vom 28.5.1997 - 14/10 RKg 25/95 = SozR 3-1300 § 44 Nr 21.
Normenkette
SGB X § 44 Abs. 1 S. 1, § 45 Abs. 2 S. 3 Nrn. 2-3, § 50 Abs. 1; SGB I § 39 Abs. 1; SGG § 54 Abs. 2 S. 2
Tenor
I. Die Berufung der Beklagten gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Chemnitz vom 7. Oktober 2013 wird zurückgewiesen.
II. Die Beklagte hat dem Kläger dessen notwendige außergerichtliche Kosten zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten - im Rahmen eines Überprüfungsverfahrens - über die rückwirkende teilweise Rücknahme der Bewilligung von Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung für die Zeit vom 1. Februar 2009 bis 31. August 2009 sowie die Erstattung der Überzahlung in diesem Zeitraum in Höhe von 998,58 Euro.
Der 1969 geborene, seit Februar 2004 als Buchhalter beschäftigte Kläger stellte am 11. August 2008 einen Antrag auf Rente wegen Erwerbsminderung und gab dabei an, dass er (auch weiterhin) in einem Beschäftigungsverhältnis stehe. Den Antrag lehnte die Beklagte zunächst mit Bescheid vom 7. Oktober 2008 ab. Im Rahmen des Widerspruchsverfahrens holte sie eine Arbeitgeberauskunft am 28. November 2008 sowie eine Verdienstbescheinigung vom Arbeitgeber am 6. Mai 2009 ein, aus der sich ergab, dass der Kläger im Zeitraum vom 1. September 2008 bis 31. Januar 2009 einen Bruttoverdienst von 1.000,00 Euro hatte. Weiterhin war in der Verdienstbescheinigung vom 6. Mai 2009 angegeben, dass der Kläger zukünftig nur noch 750,00 Euro Verdienst aus seiner Beschäftigung erzielen werde. Mit Bescheid vom 27. Juli 2009 bewilligte die Beklagte dem Kläger Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung (unter entsprechender Ablehnung eines Anspruchs auf Rente wegen voller Erwerbsminderung) für den Zeitraum ab 1. September 2008 (bis längstens 31. Januar 2036), gewährte einen monatlichen Zahlbetrag der Rente ab 1. September 2009 in Höhe von 292,78 Euro und verfügte eine Nachzahlung für den Zeitraum vom 1. September 2008 bis 31. August 2009 in Höhe von 2.705,58 Euro, die sie vorläufig nicht ausbezahlte. Der Rentenbescheid wies unter der Rubrik "Berechnung der Rente" aus, dem Kläger stehe unter Berücksichtigung der individuellen Hinzuverdienstgrenzen die Rente für die Zeit vom 1. September 2008 bis zum 31. Januar 2009 nur in Höhe der Hälfte und ab 1. Februar 2009 in voller Höhe zu. Die Berechnung der Rente stellte sie in der Anlage 1 des Rentenbescheides dar. Die (abstrakten) Hinzuverdienstgrenzen stellte sie in Anlage 19 des Rentenbescheides dar. Welches Einkommen konkret in welchem Monat der Rentenberechnung zu Grunde lag, wurde in dem Bescheid nicht ausgeführt. Mit Verfügung vom 4. September 2009 gewährte sie aus der Rentennachzahlung der ARGE C… L… einen Betrag von 2.316,82 Euro für die Zeit vom 1. September 2008 bis zum 31. August 2009 sowie eine Restzahlung an den Kläger in Höhe von 388,76 Euro.
Im Rahmen der Rentengewährung holte die Beklagte erneut Verdienstbescheinigungen des Arbeitgebers ein. Aus einer Verdienstbescheinigung vom 6. April 2011 ergab sich, dass der Kläger im Juli und August 2009 einen Bruttoarbeitsverdienst von 1.000,00 Euro und im Zeitraum von September 2009 bis März 2011 in Höhe von jeweils 705,00 Euro hatte. Aus einer weiteren Verdienstbescheinigung vom 27. April 2011 ergab sich, dass der Bruttoverdienst des Klägers im Zeitraum von Januar bis Juni 2009 ebenfalls jeweils 1.000,00 Euro monatlich betrug. Daraufhin prüfte die Beklagte die Entgeltmeldungen mit den Entgeltmeldungen der Krankenkasse ab. Die Krankenkasse teilte mit Schreiben vom 16. August 2011 die konkreten Arbeitsentgelte des Klägers mit. Mit Schreiben vom 25. August 2011 unterrichtete die Beklagte den Kläger über die von der Krankenkasse gemeldeten Entgelte. Aus einer nochmals beim Arbeitgeber eingeholten Verdienstbescheinigung vom 5. September 2011 ergab sich, dass der Kläger im Zeitraum von Januar 2009 bis August 2009 jeweils monatlich 1.000,00 Euro brutto und in der Zeit von September 2009 bis Dezember 2010 jeweils 705,00 Euro monatlich brutto bezog.
Mit Schreiben vom 15. September 2011 hörte die Beklagte den Kläger zur beabsichtigten teilweisen Aufhebung des Bescheides vom 27. Juli 2009 für die ...