Entscheidungsstichwort (Thema)

Arbeitslosengeldanspruch. Minderung der Leistungsfähigkeit. Nahtlosigkeitsregelung. Nachweis der objektiven und subjektiven Verfügbarkeit. objektive Beweislast. positive Feststellung der Leistungsunfähigkeit. fehlender Nachweis der subjektiven Verfügbarkeit. Begutachtung durch den medizinischen Dienst der BA

 

Leitsatz (amtlich)

1. Nach den Regeln zur objektiven Beweislast muss der Versicherte für einen Anspruch auf Arbeitslosengeld nach § 145 SGB III nachweisen, dass eine mehr als sechs Monate andauernde Leistungsminderung vorliegt.

2. Im Gegensatz zur Vorgängerregelung des § 105a AFG, welche eine "nicht nur vorübergehende Minderung" der Leistungsfähigkeit voraussetzte, verlangt § 145 Abs 1 Satz 1 SGB III (wie bereits § 125 Abs 1 Satz 1 SGB III aF) die positive Feststellung einer mehr als sechsmonatigen Minderung der Leistungsfähigkeit.

3. Aus dem Umstand, dass sich der Versicherte der Begutachtung durch den Medizinischen Dienst der Bundesagentur für Arbeit stellte, kann nicht abgeleitet werden, dass der Versicherte allein damit die eigene subjektive Verfügbarkeit dokumentierte.

 

Tenor

I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Chemnitz vom 29. August 2016 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten der Klägerin sind für beide Instanzen nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Klägerin begehrt als Sonderrechtsnachfolgerin ihres am 19. September 2015 verstorbenen Ehemannes Y... (im Folgenden: der Versicherte) die Zahlung von Arbeitslosengeld.

Der Versicherte stand seit dem 16. November 2006 als Produktionsmitarbeiter in einem ungekündigten sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis bei der W... Kältetechnik GmbH. Nach einer seit dem 5. November 2012 anhaltenden Arbeitsunfähigkeit bezog er im Zeitraum vom 17. Dezember 2012 bis zum 5. Mai 2014 Krankengeld. Die Entgeltabrechnung für Mai 2014 weist eine Urlaubsabgeltung in Höhe von 4.553,28 EUR aus.

Bereits im Januar 2014 stellte der Versicherte bei der Deutschen Rentenversicherung Mitteldeutschland einen Antrag auf Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit.

Am 25. Februar 2014 beantragte der Versicherte bei der Beklagten Arbeitslosengeld ab dem 6. Mai 2014. Zugleich teilte er mit, dass bei ihm gesundheitliche Einschränkungen bestünden. Die im Arbeitslosengeldantrag aufgeworfenen Fragen, ob er bereit sei, alles zu unternehmen, die Arbeitslosigkeit zu beenden, und ob er sich bei einer ärztlichen Begutachtung im Rahmen des festgestellten Restleistungsvermögens für die Vermittlung zur Verfügung stelle, ließ er unbeantwortet. Mit Schreiben vom 6. März 2014 übersandte die Beklagte dem Versicherten einen Ausdruck des Antrags auf Arbeitslosengeld vom 25. Februar 2014 mit der Bitte, alle notwendigen Fragen zu beantworten und die Arbeitsbescheinigung einzureichen. Die Arbeitsbescheinigung ging am gleichen Tag ein; einen weiteren Rücklauf verzeichnete die Beklagte nicht.

Die Beklagte veranlasst die medizinische Begutachtung des Versicherten. Das Gutachten des Medizinischen Dienstes der Beklagten vom 7. April 2014 weist den Versicherten nach Untersuchung als nicht hinreichend leistungsfähig aus. Er könne voraussichtlich bis 6 Monate täglich nur weniger als 3 Stunden arbeiten. Es bestünden vor allem schmerzhafte Bewegungseinschränkungen des Stütz- und Bewegungsapparates, insbesondere der Lendenwirbelsäule. Im Januar 2014 sei eine versteifende Operation der Wirbelsäule vorgenommen worden. Es könne "ausgesagt werden, dass verschiedene Leistungseinschränkungen dauerhaft bestehen" würden. "Möglicherweise" sei mit einer Minderung der Beschwerden und einer Verbesserung der Beweglichkeit zu rechnen.

Am 30. April 2014 wurde das Gutachten mit dem Versicherten persönlich ausgewertet. Er erhielt den Hinweis, dass er derzeit laut Gutachten für den Arbeitsmarkt nicht verfügbar sei und daher auch kein Anspruch auf Arbeitslosengeld bestehe. Er wurde auf die Möglichkeit der erneuten Begutachtung nach sechs Monaten oder bei Besserung der gesundheitlichen Situation hingewiesen.

Mit Bescheid vom 2. Mai 2014 lehnte die Beklagte den Arbeitslosengeldantrag ab, da bei dem Versicherten eine eingeschränkte Leistungsfähigkeit für die Dauer von voraussichtlich sechs Monaten bestehe. Er habe deshalb keinen Arbeitslosengeldanspruch.

Den hiergegen gerichteten Widerspruch des Versicherten, wonach ihm im Rahmen einer telefonischen Auskunft der Rentenstelle mitgeteilt worden sei, dass die Agentur für Arbeit bis zur Entscheidung über den Antrag auf Erwerbsunfähigkeitsrente in Vorkasse zu gehen habe, wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 27. Mai 2014 als unbegründet zurück.

Mit Bescheid vom 27. Mai 2014 lehnte auch die Deutsche Rentenversicherung den Antrag des Versicherten auf Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit ab. Er könne unter den üblichen Bedingungen des Arbeitsmarktes noch mindestens 6 Stunden täglich arbeiten.

Am 2. Oktober 2014 beantragte der nunmehr rechtskundig vertretene Ver...

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