Rz. 10
Abs. 2 betrifft rechtswidrige Verwaltungsakte nach § 45 SGB X, durch die der Empfänger begünstigt wird. Die Vorschrift schließt Ermessen aus. Hinsichtlich der Vergangenheit haben bei der Rücknahme der fehlerhaften Verwaltungsakte gebundene Entscheidungen zu ergehen.
Rz. 11
Die Vorschrift tangiert nicht das Ermessen der Bundesagentur für Arbeit bei Rücknahmeentscheidungen für die Zukunft. Anders als nach Abs. 1, der nur bestimmte Fallgestaltungen aufgrund von Rechtsprechung betrifft, gilt Abs. 2 für jeden Einzelfall.
Rz. 12
§ 45 SGB X regelt Sachverhalte, bei denen der Verwaltungsakt bereits bei Erlass unrichtig war, also nicht erst durch eine spätere – auch rückwirkend bedeutsame – Änderung der Verhältnisse unrichtig geworden ist. Für solche Fälle sieht die Regelung erschwerte Rücknahmevoraussetzungen vor. Entscheidender Faktor ist dabei das durch den rechtswidrigen Verwaltungsakt beim Begünstigten ausgelöste Vertrauen. Grundsätzlich muss sich der Bürger auf eine Entscheidung der Agentur für Arbeit verlassen können und aufgrund eines begünstigenden Verwaltungsaktes, typischerweise die Zuerkennung einer laufenden Entgeltersatzleistung zur Bestreitung des Lebensunterhaltes, aktiv werden können, z. B. durch Disposition oder Verwertung der zuerkannten bzw. gezahlten Leistung. Das Vertrauen des Bürgers in den Bestand des Verwaltungsaktes muss allerdings schutzwürdig sein. Dann kann die Rücknahme des Verwaltungsaktes selbst für die Zukunft ausgeschlossen sein. Für die Vergangenheit kommt eine Rücknahme gemäß § 45 Abs. 4 SGB X insbesondere in Betracht, wenn sich der Begünstigte nicht auf Vertrauen berufen kann. Das ist nach § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X der Fall, soweit der Begünstigte den Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt hat (z. B. die Zuerkennung von Alg durch eine persönliche Arbeitslosmeldung trotz weiterhin bestehender Vollzeitbeschäftigung). Ebenso kann sich der Begünstigte nicht auf Vertrauen berufen, soweit er den Verwaltungsakt durch zumindest grobfahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemachte Angaben herbeigeführt hat (z. B. durch Verschweigen von zu berücksichtigendem Nebeneinkommen nach § 155 bei der Antragstellung auf Alg). Schließlich kann sich der Betroffene nicht auf Vertrauen berufen, wenn er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte. § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X definiert grobe Fahrlässigkeit mit einer Verletzung der erforderlichen Sorgfalt in besonders schwerem Maße. Ein solcher Fall liegt häufig vor, wenn der Arbeitslose auf die rechtlichen Auswirkungen eines bestimmten Sachverhaltes ausdrücklich hingewiesen worden ist, z. B. das Ruhen des Anspruches bei Bezug einer Rente wegen voller Erwerbsminderung.
Rz. 13
§ 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X definiert die Bösgläubigkeit des begünstigten Leistungsempfängers. Liegt sie vor, ist wie bei den anderen vergleichsweise einfachen Sachverhalten des § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X der Verwaltungsakt ohne Ausübung von Ermessen auch für die Vergangenheit aufzuheben, weil sich der Betroffene nicht auf schutzwürdiges Vertrauen berufen kann. Die Bösgläubigkeit ist oft umstritten. Das gilt insbesondere dann, wenn sich die Agenturen für Arbeit auf ausgehändigte Merkblätter berufen. Im Hinblick auf den Zwang des § 330 Abs. 2 wird Vertrauen bei möglicher Bösgläubigkeit umstrittener. Der Bundesagentur für Arbeit wird die Möglichkeit genommen, Sachverhalte durch Ausübung von Ermessen einer gerechten Lösung zuzuführen. Zu bedenken ist insbesondere, ob noch eine Rechtsvereinfachung mit verwaltungsökonomischen Wirkungen vorliegt, wenn in solchen Fällen in großem Umfang mit der Durchführung von Widerspruchs- und Sozialgerichtsverfahren gerechnet werden muss. In der Sache ist es allerdings gerechtfertigt, fehlerhafte Entscheidungen bei tatsächlich vorliegender Bösgläubigkeit stets auch für die Vergangenheit zurückzunehmen. In dem einen Teil der Fälle wusste der Leistungsempfänger um die Rechtswidrigkeit der Zahlungen, in den anderen Fällen hätte er es wissen müssen, weil es auch für ihn leicht zu erkennen war. In diesen und den verbleibenden Fällen liegen subjektiv vorwerfbare Obliegenheitsverletzungen vor, weil der Leistungsempfänger etwa Hinweise oder Merkblätter schlicht nicht zur Kenntnis genommen hat. Außerdem ist zu bedenken, dass die relativ kurzfristige Leistungserbringung der Arbeitslosenversicherung Überzahlungen unvermeidbar macht. Das wird auch durch die für den Kalendermonat rückwirkende Leistungsgewährung nicht entscheidend begrenzt.
Rz. 13a
In einem Einzelfall hat das LSG Hessen entschieden, dass eine Beweislastumkehr in Bezug auf die Kenntnis bzw. grob fahrlässige Unkenntnis der Rechtswidrigkeit zum Zeitpunkt des Erlasses des begünstigenden Verwaltungsaktes angezeigt ist, wenn die unvollkommene Beweiserhebung von Umständen, die allein in der Sphäre des Betroffenen liegen, auf einem vorwerfbaren Tun oder Unterlassen dieses Betroffenen liegen (...