Rz. 4
Hilfe zu Bildungsangeboten können nach Abs. 1 Menschen mit Behinderungen haben. Nach § 2 Abs. 1 Satz 1 sind Menschen mit Behinderungen solche Personen, die körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, die sie in Wechselwirkung mit einstellungs- und umweltbedingten Barrieren an der gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als 6 Monate hindern können. Von Behinderung bedrohte Menschen nach § 2 Abs. 1 Satz 3 werden von § 75 nicht erfasst (Luthe, NZA 2017 S. 441).
Rz. 5
Hilfen werden erbracht, damit Menschen mit Behinderungen Bildungsangebote gleichberechtigt wahrnehmen können. Der Begriff "Bildungsangebote" ist gesetzlich nicht definiert. Unter Rückgriff auf den allgemeinen Sprachgebrauch sind hierunter Angebote der frühkindlichen und kindlichen Bildung sowie der Erwachsenenbildung zu verstehen (Luthe, NZA 2017 S. 441). Erfasst werden die vorschulische, die schulische und die hochschulische Aus- und Weiterbildung, aber auch Ausbildungs- und Weiterbildungsangebote anderer Träger, wie Bildungsträger der Arbeitgeberverbände, Gewerkschaften oder kirchlicher Anbieter. Reine Erziehungsleistungen unterfallen nicht der Vorschrift.
Rz. 6
Ziel von § 75 Abs. 1 ist die gleichberechtigte Wahrnehmung von Bildungsangeboten durch Menschen mit Behinderungen. Die Hilfen setzen demnach voraus, dass behinderungsbedingte Benachteiligungen vorliegen. Benachteiligungen sind jegliche nachteiligen Ungleichbehandlungen gegenüber Menschen ohne Behinderung, z. B. wie Nachteile im Bereich der Rechte und Interessen von Menschen mit Behinderungen oder Nachteile beim Zutritt zu Einrichtungen. Auch nur mittelbare Benachteiligungen, die vorwiegend Menschen mit Behinderungen faktisch belasten, unterfallen § 75 (Luthe, NZA 2017 S. 441).
Rz. 7
Abs. 1 stellt klar, dass die Teilhabe an Bildung eine eigene Rehabilitationsleistung ist. Nach Abs. 1 werden unterstützende Leistungen zur Teilhabe an Bildung erbracht, damit Menschen mit Behinderungen Bildungsangebote gleichberechtigt wahrnehmen können. "Unterstützende Leistungen" nach Abs. 1 sind insbesondere Leistungen, die zur Aufsuchung des Lernortes oder zur Teilnahme an der Vermittlung von Bildungsinhalten notwendig sind. Zu den unterstützenden Leistungen gehören kommunikative, technische und andere Hilfsmittel. Dazu gehört u. a. behindertengerechtes Lernmaterial, Fahrdienste, die Übernahme von Fahrtkosten, Assistenz bei Auslandsaufenthalten. Leistungen, die die unmittelbare Durchführung, Finanzierung oder Organisation des Bildungsangebots unmittelbar zum Inhalt haben, gehören dagegen nicht zu § 75 (Luthe, NZA 2017 S. 441).
Rz. 8
Die Vorschrift hat in erster Linie klarstellende Wirkung (krit. dazu: Luthe, NZA 2017 S. 441). Nach der Gesetzesbegründung begründet der neu geschaffene § 75 aber keine Leistungsausweitung. Leistungsansprüche folgen wie bisher allein aus den für die Rehabilitationsträger geltenden Leistungsgesetzen. Dies sind nach geltender Rechtslage
- für die Rehabilitationsträger der gesetzlichen Unfallversicherung das SGB VII, insbesondere § 35 Abs. 2 SGB VII,
- für den Bereich der Kinder- und Jugendhilfe das SGB VII, insbesondere § 35a SGB VII i. V. m. § 54 SGB XII.
Die leistungsrechtlichen Tatbestandsvoraussetzungen sind wie bisher in den für den Rehabilitationsträger geltenden Leistungsgesetzen normiert und werden durch § 75 nicht berührt (vgl. dazu Nachschatt/Ramm, Beitrag D61-2016 unter www.reha-recht.de). Entgegen dem Wortlaut der Vorschrift ("werden...erbracht") normiert § 75 keinen Rechtsanspruch auf Leistungsgewährung (Luthe, NZA 2017 S. 441).
Rz. 9
Grundsätzlich können nach § 75 von allen Rehabilitationsträgern Leistung zur Teilhabe an Bildung erbracht werden. Ein vorrangiger Leistungsträger ist nach § 75 nicht bestimmt.