0 Rechtsentwicklung
Rz. 1
Die Vorschrift trat aufgrund des Gesetzes zur Stärkung der Teilhabe und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen (Bundesteilhabegesetz – BTHG) v. 23.12.2016 (BGBl. I S. 3234) zum 1.1.2018 in Kraft. Als Vorgängervorschrift diente in der Zeit vom 1.7.2001 bis zum 31.12.2017 § 11.
Der Gesetzgeber führt in seiner Gesetzesbegründung zu § 10 (BT-Drs. 18/9522 S. 230) Folgendes aus:
Die Regelung entspricht in den Absätzen 1 bis 3 der bisher in § 11 enthaltenen Vorschrift zum "Zusammenwirken der Leistungen". Die Verpflichtung der Rehabilitationsträger, flankierend zur medizinischen Rehabilitation weitere Rehabilitationsbedarfe zur Teilhabe am Arbeitsleben zu prüfen, ist eine wichtige Aufgabe zur Umsetzung der gesetzlichen Zielsetzung der Vermeidung von Einschränkungen der Erwerbsfähigkeit und der Sicherung der Teilhabe am Arbeitsleben im Sinne von § 4 Abs. 1.
Der neu hinzugefügte Absatz 4 erweitert die nach § 12 bestehende allgemeine Hinwirkungspflicht der Rehabilitationsträger ausdrücklich auch auf die Beantragung von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben, die nicht in den Zuständigkeitsbereich des Trägers der medizinischen Rehabilitation fallen. Soweit weitere zuständige Rehabilitationsträger durch die Antragstellung betroffen sind, greifen die Vorschriften zur Koordinierung der Leistungen nach Kapitel 4. Die besondere Hervorhebung von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben im Rahmen der Hinwirkungspflicht folgt aus ihrer Bedeutung für die Prävention und für die Sicherung von Erwerbsfähigkeit. Die Unterstützung des frühestmöglichen Einsatzes von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben entspricht auch den Zielen von Artikel 27 UN-BRK.
Nach Absatz 5 werden die bisherigen Aufgaben gemeinsamen Servicestellen der Prävention in den Fällen einer konkreten Arbeitsplatzgefährdung nach § 167 unmittelbar den Rehabilitationsträgern zugeordnet und konkretisiert: Soweit die Rehabilitationsträger nach § 167 hinzugezogen wurden, haben sie nach Absatz 5 nunmehr auch auf eine umfassende Antragstellung auf Leistungen zur Teilhabe hinzuwirken.
1 Allgemeines
Rz. 2
Die Vorschrift verpflichtet die Rehabilitationsträger ergänzend zu § 9, bei der Prüfung des Teilhabebedarfs besonderes Augenmerk auf die Erwerbsfähigkeit des Betroffenen und dessen aktuellem Arbeitsplatz zu richten. Während aufgrund Abs. 1 bei der Einleitung vom Leistungen zur medizinischen Rehabilitation zu prüfen ist, ob die Erwerbsfähigkeit des Behinderten bzw. von Behinderung bedrohten Menschen erhalten, gebessert oder wiederhergestellt werden kann, konzentriert sich Abs. 2 auf die Prüfung der Gefährdung des aktuellen Arbeitsplatzes.
Ergibt sich nach erster Einschätzung die Möglichkeit des Teilhabebedarfs für Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben, ist vom prüfenden Rehabilitationsträger auf jeden Fall die Bundesagentur für Arbeit einzuschalten, die unter Berücksichtigung des Arbeitsmarktes geeignete Vorschläge unterbreiten kann (vgl. Abs. 1 Satz 2). Ist der Rehabilitand schwerbehindert, hat der Rehabilitationsträger auch das Integrationsamt zu beteiligen (Abs. 3). Bei der Gefährdung des Arbeitsplatzes eines schwerbehinderten Arbeitnehmers (vgl. § 167 Abs. 2 Satz 4) ist auch der Arbeitgeber hinzuzuziehen (Abs. 5).
Im Übrigen haben alle beteiligten Rehabilitationsträger auf eine frühzeitige Antragstellung für Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben hinzuwirken; die erforderlichen Leistungen sind von den Rehabilitationsträgern zu koordinieren (Abs. 4).
2 Rechtspraxis
2.1 Frühzeitiges Erkennen eines Bedarfs auf Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben (Abs. 1)
Rz. 3
Das in § 10 Abs. 1 aufgeführte Gebot,
- gleichzeitig mit der Einleitung einer medizinischen Rehabilitationsleistung,
- während dieser und
- nach Abschluss der medizinischen Rehabilitation
die Notwendigkeit einer Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben zu prüfen, soll gewährleisten, dass diese Leistung bei Bedarf so frühzeitig wie möglich in die Wege geleitet wird. § 10 konkretisiert damit die in § 9 Abs. 1 und 2 aufgeführten Grundsätze zur Erhaltung bzw. Förderung der Arbeitskraft des erwerbsgefährdeten oder erwerbsgeminderten Menschen.
Die Vorschrift hat nur den Zweck, einen möglichen Bedarf an Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben frühzeitig zu erkennen. Die Prüfung, ob tatsächlich ein Anspruch auf die Teilhabeleistung besteht, erfolgt später nach der Antragstellung durch den zuständigen Träger.
Rz. 4
Im Vordergrund der Prüfung nach § 10 Abs. 1 steht die Erhaltung, Besserung oder Wiederherstellung der Erwerbsfähigkeit.
Der Begriff der Erwerbsfähigkeit wird im Gesetz nicht definiert. In Rechtsprechung, Literatur und Praxis versteht man unter Erwerbsfähigkeit übereinstimmend die "Fähigkeit des Versicherten, unter Ausnutzung der Arbeitsgelegenheiten, die sich ihm nach seinen gesamten Erkenntnissen und körperlichen und geistigen Fähigkeiten im ganzen Bereich des wirtschaftlichen Lebens bieten, Erwerbseinkommen zu erzielen" (vgl. BSG, Urteil v. 19.7.1963, 1 RA 6/60). Dabei wird auf den allgemeinen Arbeitsmarkt abgestellt. Als Arbeitsmarkt versteht man nicht denjenigen in geschützten Werkstätten oder Einrichtungen, sondern in erster Li...