Rz. 17
Die Fristen des § 14 wirken für den Rehabilitationsträger nur, sobald für ihn erkennbar wird bzw. sobald für ihn erkennbar hätte werden müssen, dass der Antrag auf eine Leistung gleichzeitig als Antrag auf eine Teilhabeleistung zu verstehen ist. Als Teilhabeleistungen gelten die
- Leistungen der medizinischen Rehabilitation (§§ 42 ff.),
- Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben (§§ 49 ff.),
- Leistungen zur Teilhabe an Bildung (§ 75) und
- Leistungen zur sozialen Teilhabe (§§ 76 ff.)
(§ 5).
Antrag in diesem Sinne ist jede an den Rehabilitationsträger gerichtete Willenserklärung, aus der sich ein Leistungsverlangen ergibt. Der Antrag ist – sofern keine besonderen Anforderungen an den Antrag gestellt werden (vgl. hierzu Rz. 18 f.) – formlos möglich. Entsprechend dem Grundsatz des § 9 SGB X kann somit eine rechtswirksame Antragstellung auch mündlich, telefonisch oder durch sonstiges (konkludentes) Handeln erfolgen. An seinen Inhalt sind keine überspannten Anforderungen zu stellen. Sofern das Sozialrecht keine speziellen Regelungen trifft, finden bei der Auslegung konkludenter Handlungen die Vorschriften des BGB, insbesondere dessen § 133 BGB, Anwendung. Der entsprechend anwendbare § 133 BGB erfordert die Feststellung des (normativ) in Wahrheit Gewollten nach Maßgabe des Empfängerhorizonts auf der Grundlage aller im Einzelfall als einschlägig in Betracht kommenden Umstände. Maßgebend für die Auslegung eines Antrags ist daher unter Berücksichtigung aller Umstände der erkennbare wirkliche Wille des Antragstellers (BSG, Urteil v. 2.4.2014, B 4 AS 29/13 R, und v. 30.10.2014, B 5 R 8/14 R), wobei das unter Rz. 16 aufgeführte Meistbegünstigungsprinzip zu berücksichtigen ist.
Streng genommen muss der Rehabilitationsträger erst prüfen, ob ein Teilhabebedarf besteht. Dieser besteht nur, wenn die bereits eingetretenen oder zu erwartenden Funktionseinschränkungen bzw. Beeinträchtigungen/gesundheitlichen Barrieren mindestens 6 Monate andauern bzw. andauern werden (Gesamtzeitbeurteilung) und somit der Antragsteller wegen der Dauer der Beeinträchtigungen als Mensch mit bereits eingetretener oder drohender Behinderung i. S. d. § 2 anzusehen ist (so auch BSG, Urteile v. 2.2.2012, B 8 SO 9/10 R, sowie v. 21.8.2008, B 13 R 33/07 R, und v. 25.6.2008, B 11b AS 19/07 R). Ist dieses nicht der Fall, entsteht kein Teilhabebedarf i. S. d. § 2; die Vorschriften des SGB IX und damit auch die Vorschrift des § 14 sind in diesen Fällen nicht anwendbar.
Ein 20-jähriger Mann benötigt aufgrund eines unkomplizierten Beinbruchs für 6 Wochen einen Rollstuhl, weil er für diese Zeit seinen rechten Fuß nicht belasten darf. Mit gesundheitlichen Barrieren ist nach Ausheilung des Knochenbruchs (spätestens nach 3 Monaten ab Unfallereignis) nicht zu rechnen. Wegen einer ungeklärten Krankenkassenzuständigkeit übernimmt zunächst der Träger der Eingliederungshilfe die Kosten des Rollstuhls. Erst nach 6 Wochen ist die Zuständigkeit der Krankenkasse geklärt. Der Träger der Eingliederungshilfe stellt wegen der Kosten des Rollstuhls einen Erstattungsanspruch nach § 104 SGB X. Die Krankenkasse kann den Erstattungsanspruch nicht mit der Begründung verweigern, wegen des grundsätzlich vorrangig anzuwendenden § 14 i. V. m. § 16 SGB IX (vgl. § 7 Abs. 2 SGB IX) sei der Erstattungsanspruch nach § 104 SGB X ausgeschlossen.
Aufgrund des "konkreten" Leistungsbegehrens hat der Rehabilitationsträger ggf. von Amts wegen den genauen Sachverhalt zu ermitteln (vgl. § 20 SGB X) und unter Berücksichtigung des pflichtgemäßen Ermessens Auskünfte jeglicher Art – ggf. auch Beweismittel – einzuholen (§ 21 SGB X); die 14-Tage-Frist des § 14 Abs. 1 Satz 1 beginnt aber bereits mit der Erkennung des konkreten Leistungsbegehrens zu laufen und wird durch die Ermittlungsarbeit nicht gehemmt.
Rz. 18
Während z. B. in der Krankenversicherung eine Antragstellung und damit der Lauf der Frist durch konkludentes Handeln eines Dritten (z. B. Verordnung eines Arztes) ausgelöst werden kann (= Tag der Kenntnisnahme; vgl. Ergebnisnotiz über das Gespräch der DRV Bund und des GKV-Spitzenverbandes sowie den Verbänden der Krankenkassen auf Bundesebene zum Thema Verordnungsvordruck "Muster 61" am 05.12.2019), ist der die Frist auslösende Wille auf Befriedigung des Teilhabebedarfs in der Unfallversicherung (z. B. bei Arbeitsunfällen oder Berufskrankheiten), in der Jugendhilfe sowie bis 31.12.2019 in der Eingliederungshilfe ggf. auch von Amts wegen festzustellen (vgl. § 14 Abs. 4 i. V. m. § 19 SGB IV, § 18 SGB XII). Dabei tritt an die Stelle des Tages der Antragstellung der Tag der Kenntnis des voraussichtlichen Rehabilitationsbedarfs.
Rz. 19
Eine Besonderheit gilt in der gesetzlichen Rentenversicherung. Wegen möglicher Folgewirkungen in Bezug auf § 116 Abs. 2 SGB VI (Umwandlung eines Antrages auf Teilhabeleistungen in einen Antrag auf Erwerbsminderungsrente) muss der Versicherte erklären, dass er über die Folgewirkungen aufgeklärt wurde. Dieses geschieht z. B. durch Unterschrift des Antragstellers auf...