Rz. 36
Die Rehabilitationsträger müssen in den Fällen des § 18 Abs. 6 denjenigen Schaden ersetzen, der dem Leistungsberechtigten dadurch entstanden ist, dass sie ihre primäre Pflicht zur Gewährung der Dienst- oder Sachleistung (Naturalleistung; § 11 SGB I) nicht rechtzeitig erfüllt haben. Allerdings müssen die Leistungsberechtigten wegen der Selbstbeschaffung eine rechtsgültige Zahlungsverpflichtung eingegangen sein; bei wirksamer Abtretung des Kostenerstattungsanspruchs an Erfüllung statt sind die Anspruchsvoraussetzungen nicht erfüllt, weil die von § 18 geforderte Vorfinanzierung durch den Antragsteller mit der sich dann ergebenden "Kostenerstattung" dann nicht gegeben ist (BSG, Urteil v. 18.7.2006, B 1 KR 24/05 R).
Zur Höhe der Kostenerstattung: Nach der Gesetzesbegründung (vgl. Rz. 2) haben die Leistungsberechtigten durch die Selbstbeschaffung nach Abs. 6 zwar weitgehende Handlungsmöglichkeiten. Allerdings können sich die Leistungsberechtigten in diesen Fällen nicht in gleicher Weise auf einen privilegierten Vertrauensmaßstab berufen wie bei bloßer Nichttätigkeit der Leistungsträger i. S. d. Abs. 1 bis 5. Die Leistungsberechtigten können ihre Selbstbeschaffung dem Rehabilitationsträger deshalb nur entgegenhalten, soweit sie sich damit berechtigterweise innerhalb des Systems der Rehabilitationsleistungen bewegen; das bedeutet: Die selbst beschafften Leistungen müssen zu den Leistungen gehören, welche die Rehabilitationsträger allgemein in Natur als Sach- oder Dienstleistung zu erbringen haben (z. B. keine ausgeschlossenen Hilfsmittel, keine Leistungen außerhalb des Leistungsspektrums).
Wird der Leistungsberechtigte wegen einer rechtswidrigen Leistungsablehnung dazu gezwungen, sich die Leistungen als "Privatpatient" zu besorgen, können die Leistungen nicht in der Höhe, wie sie bei einer "normalen" Versorgung als Naturalleistung entstanden wären, begrenzt werden. In diesem Fall sind die Kosten für privatärztliche Leistungen und nicht diejenigen, die im Rahmen des Naturalleistungssystems entstanden wären, zu erstatten (vgl. BSG, Urteil v. 11.9.2012, B 1 KR 3/12 R); der Leistungserbringer muss jedoch die entsprechende Qualifikation besitzen (BSG, Urteil v. 20.2.2004, B 1 KR 10/03 B; vgl. auch LSG Baden-Württemberg, Urteil v. 19.4.2016, L 11 KR 3930/15, sowie BSG, Urteil v. 18.7.2006, B 1 KR 24/05 R). Des Weiteren ist es dem Rehabilitationsträger nicht erlaubt, Kostenangebote verschiedener Leistungserbringer einzuholen und zu vergleichen und dem Leistungsberechtigten den günstigsten Betrag zu erstatten.
Der Erstattungsanspruch des Leistungsberechtigten mindert sich immer um die Zuzahlungen und Eigenanteile, die er bei normaler Erbringung der Naturalleistung hätte tragen müssen (vgl. hierzu BSG, Urteil v. 11.7.2017, B 1 KR 1/17 R).
Der Kostenerstattungsanspruch erstreckt sich bei den selbstbeschafften Leistungen nicht nur auf die Hauptleistung (z. B. stationäre Rehabilitationsleistung), sondern auch auf die damit verbundenen SGB-Nebenleistungen (z. B. Fahrkosten, Haushaltshilfe; vgl. BSG, Urteil v. 28.2.2008, B 1 KR 19/07 R).
Musste der Leistungsberechtigte für die Selbstbeschaffung der Leistung nach § 18 Abs. 6 zur Finanzierung der selbst beschafften Ware/Dienstleistung notwendigerweise einen Kredit aufnehmen (z. B. wegen eines teuren Hilfsmittels), gelten die hierfür anfallenden Zinsen nach Auffassung des Autors nicht als Beschaffungskosten (= keine SGB-Nebenleistung) und sind damit nicht Teil des Kostenerstattungsanspruchs. Allerdings gilt der Verzinsungsanspruch nach § 44 SGB I, wonach Ansprüche auf Geldleistungen nach Ablauf eines Kalendermonats nach dem Eintritt ihrer Fälligkeit bis zum Ablauf des Kalendermonats vor der Zahlung (= Erstattung der Kosten) mit 4 v. H. zu verzinsen sind.