Rz. 17
Gerade schwerbehinderte Menschen benötigen einen besonderen Diskriminierungsschutz i. S. d. § 3 Abs. 3 Satz 2 GG bzw. einen Nachteilsausgleich, um im Verhältnis zu einem gesunden Menschen gleichberechtigt ihrer Erwerbstätigkeit nachgehen oder am allgemeinen Leben teilhaben zu können. Auch die BRK (vgl. Rz. 9 ff.) sichert dem schwerbehinderten Menschen ein Leben ohne behinderungsbedingte Barrieren im Rahmen des Möglichen.
Wegen der Schwere der behinderungsbedingen Nachteile sieht das SGB IX in seinem Teil 3 (beginnend mit § 151) einen erweiterten Schutz für diesen besonderen, schwerbehinderten Personenkreis vor; z. B. müssen Arbeitgeber mit mehr als 20 Arbeitsplätzen wenigstens 5 % davon für schwerbehinderte Menschen bereitstellen. Andernfalls ist eine monatliche Ausgleichsabgabe für jeden nicht beschäftigten Schwerbehinderten zu entrichten. Dadurch sollen u. a. Arbeitsplätze für schwerbehinderte Menschen geschaffen werden.
Mit der Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft sind darüber hinaus u. a. folgende Vergünstigungen verbunden:
- vorzeitige Altersrente (vgl. §§ 37, 236a SGB VI),
- besonderer Kündigungsschutz (= ohne vorherige Zustimmung des Integrationsamtes ist eine Kündigung eines schwerbehinderten Menschen unwirksam; vgl. § 168 SGB IX),
- Freistellung zur Leistung von Mehrarbeit (vgl. § 207 SGB IX),
- Anspruch auf Zusatzurlaub (§ 208 SGB IX),
- Steuerermäßigungen (vgl. § 33b EStG),
- besondere Nachteilsausgleiche für behinderte Menschen mit besonderen Merkzeichen (z. B. Befreiung von der Kraftfahrzeugsteuer bzw. Ermäßigung der Kraftfahrzeugsteuer bzw. Freifahrt im öffentlichen Nahverkehr, Parkerleichterungen im Straßenverkehr, Befreiung von der Rundfunkgebühr).
Rz. 18
Nach der BT-Drs. 14/5074, S. 99, baut die Definition der schwerbehinderten Menschen in Abs. 2 auf den behinderungsbedingten Begriff des Abs. 1 auf, stellt jedoch zusätzlich auf eine erhebliche Schwere der Behinderung ab. Diese Systematik wurde durch die Neufassung des SGB IX nicht berührt (BT-Drs. 18/9522 S. 227).
Nach § 2 Abs. 2 sind Menschen im Sinne des Teils 2 schwerbehindert, wenn
bei ihnen ein Grad der Behinderung von wenigstens 50 vorliegt (vgl. Rz. 18a ff.)
und
sie ihren Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt rechtmäßig im Geltungsbereich dieses Gesetzbuches haben (vgl. Rz. 20a)
oder
- ihre Beschäftigung auf einem Arbeitsplatz i. S. d. § 156 rechtmäßig im Geltungsbereich dieses Gesetzbuches haben (vgl. Rz. 20b).
Rz. 18a
Voraussetzung für die Anerkennung einer Schwerbehinderung ist die Feststellung des Grades der Behinderung (GdB) von wenigstens 50. Der Grad der Behinderung wird auf Antrag des Betroffenen durch ärztliche Gutachter ermittelt.
Irrtümlich wird der GdB oft in Prozent angegeben, das ist falsch. Richtig ist: Grad der Behinderung von z. B. 50.
Der Grad der Behinderung ist nicht zu verwechseln mit der Minderung der Erwerbsminderung (MdE).
Auf Antrag des behinderten Menschen stellen die für die Durchführung des BVG zuständigen Behörden (Versorgungsverwaltungen oder die nach Landesrecht bestimmten Stellen, z. B. in Nordrhein-Westfalen die Kreise und kreisfreien Städte; vgl. § 152 Abs. 1 Satz 7) nach ärztlicher Begutachtung das Vorliegen einer Behinderung und den GdB in Zehnerstufen von 20 bis 100 (= kein Prozentsatz) fest; sie entscheiden dabei auch über weitere gesundheitliche Merkmale (z. B. Gehbehinderung, Hilflosigkeit, Blindheit).
Bei bestehender Schwerbehinderung wird ein Ausweis ausgestellt, der als Nachweis für die Inanspruchnahme von Rechten und Nachteilsausgleichen dient. Der Schwerbehindertenausweis ist i. d. R. für eine Dauer von 5 Jahren gültig, kann aber – sofern mit hoher Wahrscheinlichkeit keine Verbesserung des Gesundheitszustandes eintreten wird – auch zeitlich unbegrenzt ausgestellt werden.
Hat der den Antrag stellende Behinderte einen Grad der Behinderung ab 20 und unter 50, erhält er einen Feststellungsbescheid. Liegt der festgestellte Grad der Behinderung unter 20, erhält er weder den Feststellungsbescheid noch einen Ausweis. In diesen Fällen ergeht lediglich ein Ablehnungsbescheid.
Rz. 18b
Der Begriff „GdB“ bezieht sich auf die Auswirkung einer Behinderung in allen Lebensbereichen und nicht nur auf Einschränkungen im allgemeinen Erwerbsleben. Der GdB ist ein Maß für die Auswirkungen eines Mangels an körperlichem, geistigem oder seelischem Vermögen. Grundsätzlich ist der GdB unabhängig vom ausgeübten oder angestrebten Beruf zu beurteilen. Aus der Höhe des GdB kann nicht auf das Ausmaß der beruflichen Leistungsfähigkeit geschlossen werden. Der Antragsteller, dem ein GdB von 100 zuerkannt wird, muss deshalb noch lange nicht berufs- oder erwerbsunfähig i. S. der Rentenversicherung sein.
Bei der Feststellung des (Gesamt)-GdB ist das seit jeher im Schwerbehindertenrecht geltende Finalitätsprinzip zu beachten, das sowohl im Behinderungsbegriff des § 2 Abs. 1 als auch in den Prinzipien zur Feststellung des GdB nach § 152 festgeschrieben worden ist. Danach sind alle dauerhaften Gesundheitsstörungen unabhängig von ihrem ...