Rz. 14
§ 25 Abs. 1 Nr. 5 i. V. m. § 26 Abs. 1 verpflichtet die Rehabilitationsträger zur Bereitstellung von geeigneten Präventionsleistungen. Ziel ist, den Eintritt einer Behinderung (vgl. Komm. zu § 2) zu verhindern bzw. die Verschlimmerung einer bereits bestehenden Behinderung oder das Hinzutreten von weiteren Behinderungen zu vermeiden (Tertiär-Prävention). Dadurch soll dem einzelnen Menschen so gut und solange wie möglich eine möglichst ungehinderte Teilhabefähigkeit ermöglicht werden.
§ 26 Abs. 2 Nr. 1 befasst sich mit der Frage, welche Präventionsleistungen überhaupt geeignet sind, den Eintritt einer Behinderung zu vermeiden. Im Vordergrund stehen also grundsätzliche Fragen,
- ob und wie Präventionsleistungen erfolgreich im Sinne des Erhalts der Teilhabefähigkeit oder der Vermeidung von weiteren Behinderungen sind (vgl. Rz. 20 ff.),
- wie der Bedarf an Präventionsleistungen erkannt werden kann (Rz. 16 ff.) und
- welchen grundsätzlichen Inhalt diese Präventionsleistungen haben sollten.
Rz. 15
Zu der Thematik haben die Rehabilitationsträger zuletzt im Januar 2018 in ihrer "Gemeinsamen Empfehlung nach § 26 Abs. 2 Nr. 1 i. V. m. § 25 Abs. 1 Nr. 5 SGB IX, damit Prävention entsprechend dem in § 3 SGB IX genannten Ziel erbracht wird" – kurz: Gemeinsame Empfehlung "Prävention" genannt – grundsätzliche Regeln vereinbart. Gefolge dem Grundsatz "Vorrang von Prävention" hebt diese die Notwendigkeit hervor, einer chronischen Krankheit, die
- zu einer Behinderung,
- zur Verschlimmerung einer Behinderung oder
- zu einer weiteren Behinderung
führen kann, rechtzeitig, also spätestens bei der Feststellung erster gesundheitlicher Einschränkungen, wirkungsvoll entgegenzutreten. Ziel ist dabei nicht, wie eine Krankheit vermieden werden kann – das ist Aufgabe der Krankenkasse nach den §§ 20 ff. SGB V –, sondern wie eine Behinderung, die die Teilhabefähigkeit in Arbeit, Schule, Beruf und Gesellschaft einschränkt bzw. gefährdet, verhindert werden kann.
Rz. 16
Die Prävention erfordert
- eine rehabilitationsträgerübergreifende, abgestimmte Zusammenarbeit,
- ein rechtzeitiges Vorgehen und
- geeignete Gegenmaßnahmen.
Die Prävention nach § 3 SGB IX beabsichtigt grundsätzlich zum einen eine Verhältnismodifikation, also eine Beeinflussung der gesellschaftlichen Rahmenbedingungen sowie der Gesundheitsrisiken, die von den Lebens- und Arbeitsbedingungen ausgehen. Zum anderen zielt sie auf eine Verhaltensmodifikation und Verbesserung der gesundheitlichen Situation, indem sie bei einzelnen Personen bzw. Gruppen von Personen ansetzt (§ 3 Abs. 1 der Gemeinsamen Empfehlung "Prävention"). Eine besondere Bedeutung kommt in diesem Zusammenhang den Kontextfaktoren zu. Kontextfaktoren stellen den gesamten Lebenshintergrund einer Person dar und umfassen sowohl die
Umweltfaktoren (bilden die materielle, soziale und einstellungsbezogene Umwelt, in der Menschen leben und ihr Leben gestalten; z. B. Arbeits- und Wohnumfeld, Verhaltensweisen anderer Mitmenschen)
als auch
- auf die jeweilige Person bezogenen Faktoren (person-bezogene Faktoren wie z. B. Einstellungen, Bildung, Lebensstil, Religion, Lebensumstände).
Wie gerade erwähnt, ist die Verhaltens- und die Verhältnisprävention ein wichtiger Ansatz für die Maßnahmen. Die Verhaltensprävention zielt auf die Änderung eines schädlichen Verhaltens (z. B. Rauchen, Alkoholgenuss, Essverhalten) und die Verhältnisprävention auf eine Veränderung der Lebensbedingungen des jeweiligen Menschen (z. B. Veränderung der von außen wirkenden "Umwelt-"Bedingungen; z. B. Änderung von schädlichen Lebensbedingungen und -einflüssen wie ungesunde Luftverhältnisse am Arbeitsplatz). Hohe Bedeutung hat dabei sowohl die Beratung und Aufklärungsarbeit im betrieblichen Umfeld als auch die Kooperation mit den Arbeitgebern.
Rz. 17
Um besonders behinderungsgefährdete Risikogruppen mit geeigneten Maßnahmen zu erreichen, wählen die Rehabilitationsträger sowohl bei den Erwerbstätigen als auch bei den Nicht-Erwerbstätigen schwerpunktmäßig den Setting-Ansatz. Als Setting werden die Lebensbereiche verstanden, in denen die Menschen einen Großteil ihrer Lebenszeit verbringen. Dieser Setting-Ansatz ist geeignet, um den einzelnen betroffenen Menschen in dem Lebensbereich, in dem er einen wesentlichen Teil seines Tages verbringt, zu einem gesundheitsförderlichen Verhalten zu motivieren und zugleich gesundheitsgefährdende Lebensbedingungen zu begrenzen. Hierunter ist eine möglichst frühzeitige Anpassung von Kontextfaktoren mit dem Ziel einer möglichst langen und vollständigen Erhaltung der Teilhabe, insbesondere beim Arbeitsplatz und im häuslichen Umfeld zu sehen (z. B. Erfassung und Stärkung von Hilfepotenzialen, Umgestaltung der Arbeitsbedingungen oder Wohnbedingungen, Änderung des Essverhaltens – auch in der Kantine). Diese Maßnahmen erfordern oft eine Kooperation mit dem Arbeitgeber, der i. d. R. ein hohes Interesse an der Erhaltung der Arbeitskraft seiner Arbeitnehmer hat.
Rz. 18
Der Vollständigkeit halber wird an dieser Stelle erwähnt, dass die Krankenkassen als Re...