Rz. 35
Die Selbsthilfe ist ein wichtiger Bestandteil des Gesundheitssystems. Charakteristisch für sie ist die spezifische Fachkompetenz, die auf der Kenntnis der Lebenssituation von kranken Menschen oder von Menschen mit Behinderung bzw. drohender Behinderung beruht – und zwar aufgrund unmittelbarer, eigener Erfahrung der handelnden Personen. Dieses fördert die Akzeptanz bei den Adressaten und ermöglicht niedrigschwellige, aber i. d. R. hoch wirksame Beratungs- und Hilfestrukturen.
Die Rehabilitationsträger haben gemäß § 26 Abs. 2 Nr. 6 die Verpflichtung, die Selbsthilfegruppen, -organisationen und -kontaktstellen zu fördern (vgl. § 45).
Selbsthilfegruppen sind freiwillige Zusammenschlüsse von Menschen auf örtlicher/regionaler Ebene, deren Aktivitäten sich auf die gemeinsame Bewältigung von Krankheiten und/oder Behinderungen, psychischen oder sozialen Problemen richten, von denen sie – entweder selbst oder als Angehörige – betroffen sind. Ziel ist die Verbesserung der persönlichen Lebensqualität, die Selbstbestimmung sowie die gleichberechtigte Teilhabe (Inklusion) von Menschen mit Behinderung. Die Gruppe ist dabei ein Mittel, die soziale und gesellschaftliche sowie die persönliche und seelische Isolation aufzuheben. Vielfach haben sich Selbsthilfegruppen auf Länder- oder Bundesebene in Selbsthilfeorganisationen (Verbände) zusammengeschlossen. Sie unterstützen die Selbsthilfegruppen bei ihrer täglichen Arbeit – oft auch durch fachliche Informationen. Selbsthilfekontaktstellen sind örtlich oder regional arbeitende professionelle Beratungseinrichtungen mit hauptamtlichem Personal. Bezüglich der Einzelheiten zur Definition wird auf die Komm. zu § 45 verwiesen.
Nicht zum förderfähigen Personenkreis zählen z. B.
- Wohlfahrts- und Sozialverbände,
- Fördervereine und Arbeitsgruppen bzw. Arbeitskreise der Selbsthilfeorganisationen,
- Patientenberatungsstellen,
- Berufs- und Fachverbände,
- Verbraucherverbände/-organisationen/-einrichtungen,
- Landesarbeitsgemeinschaften für Gesundheit sowie
- alle Aktivitäten der Selbsthilfegruppen, -organisationen und -kontaktstellen, die nicht gesundheitsbezogen sind und nicht die Verwirklichung von Selbstbestimmung und gleichberechtigter Teilhabe von Menschen mit Behinderung zum Ziel haben.
Rz. 36
Unter Federführung der BAR haben die in § 6 Abs. 1 Nr. 1 bis 5 genannten Rehabilitationsträger zuletzt im Juli 2019 die "Gemeinsame Empfehlung zur Förderung der Selbsthilfe" (Gemeinsame Empfehlung "Selbsthilfe") vereinbart. Darin wird erläutert, wie und in welchem Umfang Selbsthilfegruppen, -organisationen und -kontaktstellen gefördert werden, die sich die Prävention, Rehabilitation, Früherkennung und Bewältigung von Krankheiten und Behinderungen zum Ziel gesetzt haben. Zweck ist
- eine zwischen den Rehabilitationsträgern abgestimmte und ausgewogene, transparente Verteilung der Förderung,
- eine trägerübergreifende Transparenz über anstehende/geleistete finanzielle Förderungen (insbesondere durch die gesetzlichen Krankenkassen und die gesetzliche Rentenversicherung),
- die Berücksichtigung von zusätzlichen infrastrukturellen und ideellen Unterstützungsmöglichkeiten,
- die Förderung auch von kleineren Selbsthilfeeinrichtungen (nicht nur große Selbsthilfeeinrichtungen) und
- die Vermeidung von Bevor- oder Benachteiligungen von bestimmten Selbsthilfeeinrichtungen wegen fehlender Absprachen (dies wäre z. B. der Fall, wenn alle Rehabilitationsträger einer Selbsthilfeeinrichtung wegen fehlender Absprachen eine höhere Förderung zuteil kommen lassen, als dies in ihrer Gesamtheit zweckmäßig erscheint, dafür aber andere Selbsthilfeeinrichtungen nicht oder nur kaum gefördert werden).
Rz. 37
In der Gemeinsamen Empfehlung werden die finanziellen Möglichkeiten zur Förderung der Selbsthilfe (insbesondere durch die gesetzlichen Krankenkassen – § 20h SGB V – und die gesetzliche Rentenversicherung – § 31 Abs. 1 Nr. 3 SGB VI – geregelt.
Die gesetzlichen Krankenkassen und ihre Verbände fördern gemäß § 1 der Empfehlung Selbsthilfegruppen, Selbsthilfeorganisationen und Selbsthilfekontaktstellen gemäß § 20h SGB V. Die Förderung erfolgt auf Basis des "Leitfadens zur Selbsthilfeförderung – Grundsätze des GKV-Spitzenverbandes zur Förderung der Selbsthilfe gemäß § 20h SGB V vom 10. März 2000" in der jeweils gültigen Fassung. (Anmerkung des Autors: Zum Zeitpunkt der Drucklegung galt die Fassung vom 21.10.2022.)
Durch die gesetzliche Rentenversicherung können gemäß § 31 Abs. 1 Nr. 3 SGB VI als sonstige Leistungen zur Teilhabe Zuwendungen für Einrichtungen erbracht werden, die auf dem Gebiet der Rehabilitation forschen oder die Rehabilitation fördern. Bezogen auf den Bereich der Selbsthilfe bedeutet dies, dass von der Rentenversicherung eine Zuwendung nur dann erbracht werden darf, wenn das Vorhaben, für das eine finanzielle Förderung beantragt wird, einen engen Bezug zur Rehabilitation der Rentenversicherung aufweist. Ziel der Rehabilitation der Rentenversicherung ist es, gesundheitlich beeinträchtigte Versicherte wieder in das Erwerbsleben zu ...