Rz. 17
Obwohl die Leistungen zur sozialen Teilhabe (§ 5 Nr. 5) gegenüber Leistungen zur medizinischen Rehabilitation nachrangig sind (vgl. z. B. § 2 SGB XII), ist die Abgrenzung der beiden Leistungen in der Praxis schwierig. Nicht selten werden Anträge auf Leistungen zur sozialen Teilhabe i. S. d. § 14 an die Träger der medizinischen Rehabilitation weitergeleitet, weil der andere Rehabilitationsträger für fachlich zuständig gehalten wird. Umgekehrt ist es genauso. Das BVerwG hat zur Abgrenzung der beiden Leistungsarten mit Urteil. v. 18.10.2012 (5 C 15/11) folgende Grundsätze aufgestellt:
Leistungen zur sozialen Teilhabe und Leistungen zur medizinischen Rehabilitation sind anhand der Bedürfnisse, die mit der Leistung befriedigt werden sollen, voneinander abzugrenzen (vgl. BSG, Urteile v. 19. Mai 2009 – B 8 SO 32/07 R – SozR 4-3500 § 54 SGB XII Nr. 5 Rn. 17 und v. 29.9.2009 – B 8 SO 19/08 R – SozR 4-3500 § 54 SGB XII Nr. 6 Rn. 21). Entscheidend ist, welches konkrete Ziel mit der fraglichen Leistung in erster Linie verfolgt wird, d. h. welcher Leistungszweck im Vordergrund steht (BSG, Urteile v. 31.3.1998 – B 1 KR 12/96 und v. 3.9.2003 – B 1 KR 34/01 R – SozR 4-2500 § 18 SGB V Nr. 1 Rn. 10). Dies ist aufgrund einer Gesamtwürdigung der Bedürfnisse und Heilungschancen des einzelnen Behandlungsfalles zu bestimmen, wobei die Art der Erkrankung und ihr Bezug zu den eingesetzten Mitteln sowie die damit verbundenen Nah- und Fernziele eine Rolle spielen (vgl. BSG, Urteil v. 31.3.1998 a. a. O.). Leistungen zur sozialen Teilhabe nach § 55 Abs. 1 SGB IX (Anm. des Autors: ab 1.1.2018: § 76 SGB IX) setzen an den sozialen Folgen einer Krankheit bzw. Behinderung an und dienen deren Überwindung (vgl. BSG, Urteil vom 31.3.1998 a. a. O.). Sie sollen die Auswirkungen der Krankheit bzw. Behinderung auf die Lebensgestaltung auffangen oder abmildern (vgl. BSG, Urteil v. 3.9.2003 a. a. O., Rn. 11). Ihr Ziel ist es einerseits, den Menschen, die aufgrund ihrer Behinderung in (Teil-)Bereichen des gesellschaftlichen Lebens ausgegrenzt sind, den Zugang zur Gesellschaft zu ermöglichen, andererseits aber auch den Personen, die in die Gesellschaft integriert sind, die Teilhabe zu sichern, wenn sich abzeichnet, dass sie von gesellschaftlichen Ereignissen und Bezügen abgeschnitten werden. Dem behinderten Menschen soll der Kontakt mit seiner Umwelt, nicht nur mit Familie und Nachbarschaft, sowie die Teilnahme am öffentlichen und kulturellen Leben ermöglicht und hierdurch die Begegnung und der Umgang mit nichtbehinderten Menschen gefördert werden (vgl. BSG, Urteil v. 19.5.2009 a. a. O., Rn. 16 f.). Des Weiteren zielen die Leistungen der sozialen Teilhabe darauf, den behinderten Menschen soweit wie möglich unabhängig von der Pflege zu machen (vgl. § 55 Abs. 1 SGB IX; Anm. des Autors: ab 1.1.2018: § 76 SGB IX). Leistungen der medizinischen Rehabilitation nach § 26 SGB IX (Anm. des Autors: ab 1.1.2018: § 42 SGB IX) knüpfen an der Krankheit selbst und ihren Ursachen an. Sie dienen dazu, Behinderungen, einschließlich chronischer Krankheiten abzuwenden, zu beseitigen, zu mindern, auszugleichen, eine Verschlimmerung zu verhüten (Abs. 1 Nr. 1) oder Einschränkungen der Erwerbstätigkeit und Pflegebedürftigkeit zu vermeiden, zu überwinden, zu mindern, eine Verschlimmerung zu verhüten sowie den vorzeitigen Bezug von laufenden Sozialleistungen zu vermeiden oder laufende Sozialleistungen zu mindern (Abs. 1 Nr. 2). Für die Einordnung als medizinische Behandlung ist nicht entscheidend, ob die gestellten Ziele objektiv erreichbar sind (vgl. BSG, Urteil v. 3.9.2003 a. a. O.).
Rz. 17a
Zur Abgrenzung der Zuständigkeit bei Hilfsmitteln hat das BSG hat mit Urteil v. 3.11.2011 (B 3 KR 4/11 R) die Grundsätze zusammengefasst, unter welchen Voraussetzungen der Teilhabebedarf bei der medizinischen Rehabilitation bis zu welchem Umfang zu befriedigen ist (vgl. hierzu Rz. 5a). Ist eine Versorgung mit bestimmten Hilfsmitteln im Rahmen der Leistungen zur medizinischen Rehabilitation nicht möglich (z. B. die Brille und die Kontaktlinsen sowie die Kontaktlinsen-Reinigungsflüssigkeit zählen in den meisten Fällen nicht zu dem Leistungsspektrum der gesetzlichen Krankenversicherung), ist zu prüfen, ob eine Versorgung im Rahmen der Leistungen zur sozialen Teilhabe erfolgen kann (BSG, Urteil v. 19.5.2009, B 8 SO 32/07 R).