Rz. 9
Die medizinische Rehabilitation befasst sich mit dem Gesundheitszustand des Rehabilitanden in Bezug auf seine Fähigkeiten und Funktionsmöglichkeiten und der Entwicklung eigener Abwehr- und Heilungskräfte. Sie soll eine selbständige Lebensführung und eine effiziente Eingliederung/Wiedereingliederung in den Beruf und die Gesellschaft erreichen und umfasst einen
- ganzheitlichen (= Festlegung von Rehabilitationszielen nach vorheriger Betrachtung des betreffenden Menschen als Individuum mit allen seinen Fähigkeiten, Einschränkungen und Problemen – auch unter Berücksichtigung seiner Kontextfaktoren wie Um- und Mitwelt) und
- interdisziplinären (= die Eigenschaft einer Wissenschaft, Ansätze, Denkweisen oder zumindest die Methoden einer anderen Fachrichtung – z. B. anderer Heilberufe – nutzend)
Ansatz. Die medizinische Rehabilitation zeichnet sich durch eine sinnvolle, konzentrierte Verzahnung von unterschiedlichen Therapien etc., die von den jeweiligen Heilberufen erbracht werden, aus.
1.3.1 Abgrenzung im Verhältnis zu den Leistungen zur sozialen Teilhabe
1.3.1.1 Überblick
Rz. 10
§ 42 befasst sich mit den Leistungen der medizinischen Rehabilitation (§ 5 Nr. 1). Die soziale Teilhabe (§ 5 Nr. 5) zielt dagegen auf die Bewältigung der alltäglichen Anforderungen und der Wiedereingliederung in das soziale Umfeld der Patientinnen und Patienten. Gemäß Art. 12 BTHG i.V. mit dem bis 31.12.2019 geltenden § 54 SGB XII gehört z. B. zu den Leistungen zur sozialen Teilhabe die Versorgung mit anderen als den in § 47 genannten Hilfsmitteln, wenn diese erforderlich sind. Zu solchen Hilfsmitteln der sozialen Teilhabe zählen Hilfsmittel, die über eine medizinische Zweckbestimmung hinausgehen und zum Ausgleich der durch die Behinderung bedingten Mängel und Einschränkungen zur gesamten Alltagsbewältigung beitragen. Sie haben die Funktion, dem behinderten Menschen den Kontakt mit seiner Umwelt, nicht nur der Familie und Nachbarschaft, sowie die Teilnahme am öffentlichen und kulturellen Leben zu ermöglichen und hierdurch insgesamt die Begegnung und den Umgang mit nichtbehinderten Menschen zu fördern (BSG, Urteil v. 19.5.2009, B 8 SO 32/07 R, SozR 4-3500 § 54 Nr. 5, m. w. N.).
Rz. 10a
Die Abgrenzung von Leistungen zur medizinischen Rehabilitation von Leistungen zur "sozialen" Teilhabe erfolgt nicht nach den in Betracht kommenden Leistungsgegenständen; entscheidend ist vielmehr der Leistungszweck (so BSG, Urteil v. 3.9.2003, B 1 KR 34/01 R; Urteil v. 29.9.2009, B 8 SO 19/08 R). Allerdings können sich die Leistungszwecke der medizinischen Rehabilitation und der sozialen Teilhabe überschneiden (vgl. BSG, Urteil v. 19.5.2009, B 8 SO 32/07 R, und v. 29.9.2009, a. a. O.; vgl. auch OVG Koblenz, Urteil v. 4.11.2010, 7 A 10796/10.OVG). Die Leistungen zur sozialen Teilhabe (Eingliederungshilfe) sind jedoch gegenüber den Leistungen zur medizinischen Rehabilitation nachrangig. Sie kommen deshalb grundsätzlich nur in Betracht, wenn sie nicht als Leistungen zur medizinischen Rehabilitation zu gewähren sind (BSG, Urteil v. 19.5.2009, a. a. O.).
1.3.1.2 Hilfsmittel
Rz. 10b
Die Abgrenzung zwischen Hilfsmitteln i. S. der medizinischen Rehabilitation (§ 47) und der sozialen Teilhabe (Eingliederungshilfe) ist nicht am Begriff des Hilfsmittels selbst vorzunehmen; maßgebend ist vielmehr, welche Bedürfnisse mit dem Hilfsmittel befriedigt werden sollen, also welchen Zwecken und Zielen das Hilfsmittel dienen soll. Während Hilfsmittel i. S. v. § 47 die Aufgabe haben,
- einer drohenden Behinderung vorzubeugen,
- den Erfolg einer Heilbehandlung zu sichern oder
- eine Behinderung nur bei den Grundbedürfnissen des täglichen Lebens auszugleichen soweit sie nicht allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens sind,
dienen die Hilfsmittel im Rahmen der Eingliederungshilfe über die Aufgabenbestimmung nach § 47 hinaus der gesamten Alltagsbewältigung; sie haben die Aufgabe, dem Behinderten den Kontakt mit seiner Umwelt, nicht nur mit Familie und Nachbarschaft, sowie die Teilnahme am öffentlichen und kulturellen Leben zu ermöglichen und hierdurch insgesamt die Begegnung und den Umgang mit nichtbehinderten Menschen zu fördern. Nach der nicht abschließenden Aufzählung in der – bis zum 31.12.2019 auf § 60 SGB XII (vgl. Art. 12 BTHG i. V. m. § 54 SGB XII) gestützten – Eingliederungshilfe-Verordnung kann insoweit sogar ein Anspruch auf Versorgung mit Gebrauchsgegenständen des täglichen Lebens bestehen, wenn der behinderte Mensch hierauf wegen der Art und Schwere seiner Behinderung angewiesen ist.
Sind Hilfsmittel nicht nach § 47 zu gewähren, kommt eine Versorgung im Rahmen der Leistungen zur sozialen Teilhabe in Betracht (BSG, Urteil v. 19.5.2009, B 8 SO 32/07 R).