2.5.1 Entgeltzahlung durch den Arbeitgeber
Rz. 37
Durch die stufenweise Wiedereingliederung wird die fortbestehende Arbeitsunfähigkeit nicht tangiert (vgl. § 2 Abs. 2 AU-Richtlinie; Rz. 56 ff.). Im Vordergrund der im Rahmen des Wiedereingliederungsprozesses ausgeübten Beschäftigung stehen nämlich Gesichtspunkte der Rehabilitation des Arbeitnehmers; durch den Wiedereingliederungsprozess kann er erproben, ob er auf dem Wege einer im Verhältnis zur vertraglich geschuldeten Arbeitsleistung quantitativ und/oder qualitativ verringerten Tätigkeit zur Wiedererlangung seiner Arbeitsfähigkeit gelangen kann. Das bedeutet, dass der Arbeitnehmer während des Wiedereingliederungsprozesses keine Arbeitsleistung im Rahmen des vereinbarten Arbeitsvertrages erbringen kann und dass ihm – falls nicht etwas anderes vereinbart wurde – während der stufenweisen Wiedereingliederung kein Arbeitsentgelt und keine Zuwendungen anderer Art zustehen (vgl. Urteile des BAG v. 29.1.1992, 5 AZR 37/91, 5 AZR 60/91 und 5 AZR 637/89, sowie v. 19.4.1994, 9 AZR 462/92). Er erhält i. d. R. von der Krankenkasse Krankengeld (§§ 44 ff. SGB V) bzw. vom Unfallversicherungsträger Verletztengeld (§§ 45 ff. SGB VII) oder vom Rentenversicherungsträger Übergangsgeld (§§ 20 ff. SGB VI, § 71 Abs. 5 SGB IX) – und zwar solange, bis er den Anforderungen seines alten Arbeitsplatzes mit der arbeitsmäßigen und zeitlichen Belastung voll gewachsen ist.
Rz. 38
Zahlt der Arbeitgeber für die vom Arbeitnehmer erbrachte Arbeitsleistung (freiwillig) Arbeitsentgelt, ruhen insoweit die Sozialleistungen (vgl. § 49 Abs. 1 Nr. 1 SGB V, § 52 SGB VII, § 72 SGB IX). Allerdings ist zu berücksichtigen, dass vom Arbeitgeber freiwillig getätigte Zahlungen, die nicht eine konkrete Arbeitsleistung vergüten (z. B. bewusste Aufstockung des Krankengeldes durch den Arbeitgeber), nur insoweit zum Ruhen der Sozialleistung führen, als diese Zahlungen – auf den Kalendertag umgerechnet – zusammen mit der Netto-Sozialleistung (z. B. Krankengeld nach Abzug der vom Versicherten zu entrichtenden Beitragsanteile) das vor der Arbeitsunfähigkeit erzielte Nettoarbeitsentgelt übersteigt (vgl. auch Ausführungen zu § 72 SGB IX).
Das Nettoarbeitsentgelt des Wiedereinzugliedernden betrug 100,00 EUR täglich. Während des Wiedereingliederungsprozesses zahlt der Arbeitgeber freiwillig 25,00 EUR brutto bzw. 20,00 EUR netto täglich (z. B. als Anerkennung für die "Motivation" des Arbeitnehmers "Arbeitgeberzuschuss zum Krankengeld"). Die an den Wiedereinzugliedernden gezahlte Sozialleistung (z. B. Krankengeld nach Abzug der vom Versicherten zu tragenden Beitragsanteile) beträgt 79,65 EUR täglich.
Lösung:
Weil das gezahlte Netto-Arbeitsentgelt (20,00 EUR) zusammen mit der Netto-Sozialleistung (79,65 EUR) das frühere Netto-Arbeitsentgelt (100,00 EUR) nicht überschreitet, kann die Sozialleistung ungekürzt weitergezahlt werden.
Rz. 39
Erkrankt der Arbeitnehmer während der stufenweisen Wiedereingliederung (z. B. an einer Grippe) für wenige Tage und unterbricht er deshalb die aktive Teilnahme an der Eingliederungsmaßnahme, hat der Arbeitgeber keine Entgeltfortzahlung zu leisten. Der Versicherte erhält weiterhin sein Kranken-, Verletzten- oder Übergangsgeld.
2.5.2 Unfallversicherungsschutz
Rz. 40
Verletzt sich der wiedereinzugliedernde Arbeitnehmer während des Wiedereingliederungsprozesses, ist er wie jeder andere Arbeitnehmer unfallversicherungsgeschützt (vgl. § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII). Er erleidet dann bei einem Unfall am Arbeitsplatz bzw. auf dem Weg dorthin einen Arbeitsunfall (§ 8 SGB VII). Die Möglichkeit eines Nebeneinanders von Versicherungspflicht und Leistungsberechtigung bei der stufenweisen Wiedereingliederung entspricht also dem gesetzgeberischen Konzept (SG Nordhausen, Urteil v. 10.10.2018, S 10 U 1287/17). Dieses gilt auch, wenn der Arbeitsunfall deshalb eingetreten ist, weil der Versicherte rückwirkend betrachtet – entgegen der ärztlichen Einschätzung – körperlich, geistig oder psychisch noch nicht ausreichend fähig war, um die im Rahmen des Wiedereingliederungsprozesses zu verrichtenden Arbeiten zu erledigen.
2.5.3 Urlaub
Rz. 41
Während des Wiedereingliederungsprozesses ist der Wiedereinzugliedernde weiter arbeitsunfähig (§ 2 AU-Richtlinien, Rz. 56 ff.). Das bedeutet, dass er sich durch die Arbeit keine zusätzlichen Urlaubsansprüche erwirtschaften kann. Auf der anderen Seite kann ihm der Arbeitgeber keine Fehltage auf den Jahresurlaub anrechnen, wenn der Wiedereinzugliedernde zum Zwecke der Erholung während des Eingliederungsprozesses nicht zur Arbeit erscheint.
Möchte ein Wiedereinzugliedernder aus persönlichen Gründen eine Wiedereingliederungspause einlegen (z. B. 1 Tag Fernbleiben wegen der Beerdigung eines nahestehenden Verstorbenen), bedarf es hierzu der Absprache mit dem zuständigen Rehabilitationsträger (meist: Krankenkasse oder Rentenversicherungsträger) und dem Arbeitgeber. Andernfalls besteht die Gefahr, dass die Eingliederungsphase abgebrochen wird.