Rz. 24
§ 47 Abs. 1 Nr. 3 schließt den Anspruch auf Hilfsmittel aus, wenn das Hilfsmittel
- den allgemeinen Gebrauchsgegenständen des täglichen Lebens zuzuordnen ist und
- nicht der Vorbeugung einer Behinderung oder der Sicherung des Heilbehandlungs-/Rehabilitationserfolgs dient. Dient das Hilfsmittel also nur der Vorbeugung einer Behinderung (z. B. Hilfsmittel zur Sturzsicherung eines Menschen mit Schwindel) oder der Sicherung des Heilbehandlungs-/Rehabilitationserfolgs (z. B. Orthese oder sonstiges Hilfsmittel zur Stabilisierung, Entlastung, Ruhigstellung, Führung oder Korrektur von Gliedmaßen oder des Rumpfes), spielt es nach dem Wortlaut des § 47 Abs. 1 keine Rolle, ob das Hilfsmittel zu den allgemeinen Gebrauchsgegenständen des täglichen Lebens zählt.
§ 47 Abs. 1 schließt hier mit § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V gleich, der bei einem Hilfsmittel, welches dem Behinderungsausgleich dient, ebenfalls die gleiche Regelung trifft. Insoweit ist die Rechtsprechung, die diesbezüglich zu § 33 SGB V erging, bei § 47 Abs. 1 entsprechend anzuwenden.
Grundsätzlich ist es nicht Aufgabe der Rehabilitationsträger, die Besorgung oder Anschaffung von Gegenständen zu finanzieren, die zum allgemeinen Lebensbedarf oder zu den Kosten der normalen Lebenshaltung gehören (BSG, Urteil v. 24.9.2002, B 3 P 15/01 R). Für die Abgrenzung der Hilfsmittel von den allgemeinen Gebrauchsgegenständen des täglichen Lebens ist allein auf die Zweckbestimmung des Produktes abzustellen. Geräte, die für die speziellen Bedürfnisse von Menschen mit Behinderungen entwickelt wurden und ausschließlich oder überwiegend auch von diesen benutzt werden, sind nicht automatisch allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens (vgl. BSG, Urteil v. 16.9.1999, B 3 KR 1/99 R). Dies gilt selbst dann, wenn sie, wie beispielsweise Brillen oder Hörgeräte, sehr weit verbreitet sind. Andererseits kann jedoch ein Gegenstand als allgemeiner Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens einzustufen sein, wenn er schon von der Konzeption her nicht vorwiegend für Kranke oder Menschen mit Behinderungen gedacht ist (LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil v. 30.4.2003, L 4 KR 190/01; vgl. auch BSG, Urteil v. 6.8.1998, B 3 KR 14/97 R).
Ein Hilfsmittel, das als Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens zählt, ist grundsätzlich für jedermann zugänglich, d. h. im Handel käuflich zu erwerben. Kein allgemeiner Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens liegt dagegen vor, wenn das Hilfsmittel von gesunden Verbrauchern nicht benötigt wird und von der Konzeption her für gesunde Verbraucher keine hilfreiche Unterstützung bewirken würde (LSG Niedersachsen-Brandenburg, Urteil v. 17.9.2019, L 16 KR 182/18). Dabei ist nicht entscheidend, wie hoch der Verkaufspreis oder der Anteil von Käufern dieser Artikel im Verhältnis zur Bevölkerung ist. Auch ist unbedeutend, wer der Hersteller ist oder in welchen Fachhandelsbereichen (z. B. Apotheken, Sanitätsgeschäften) das jeweilige Hilfsmittel angeboten wird (vgl. BSG, Urteil v. 10.10.2000, B 3 KR 29/99). Auch spielt es keine Rolle, dass das Hilfsmittel in gewisser Weise behindertengerecht oder bedienerfreundlich gestaltet ist und/oder mit ihm eine Komfortverbesserung einhergeht.
Zu den allgemeinen Gebrauchsgegenständen zählen u. a. folgende von der Versorgung ausgeschlossene Hilfsmittel:
- "normaler" Autokindersitz für ein spastisch gelähmtes Kleinkind; kein Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens ist dagegen ein Autokindersitz mit Vier-Punkt-Gurt-System und Alu-Kopfstütze, welcher ein spezielles Haltegurt- und Stützsystem für körperbehinderte Personen enthält; SG Dortmund, Urteil v. 22.5.2001, S 41 KR 66/00),
- Computer oder Schreibmaschine für einen hör- bzw. sprechgestörten Menschen (aber die behindertengerechte Zusatzausstattung ist regelmäßig kein Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens, wenn diese einen handelsüblichen PC ergänzt; vgl. BSG, Urteil v. 6.2.1997, 3 RK 1/96 und 3 RK 9/96),
- elektrisches Küchenmesser für Menschen mit nur einem Arm,
- normaler Geh-/Spazierstock,
- Notebook bzw. iPad, auch wenn es als elektronisches Kommunikationshilfsmittel bei nicht sprechenden Menschen (z. B. nach Kehlkopfentfernung) mit einer Kommunikationssoftware benutzt wird (die Kommunikationssoftware wird dagegen regelmäßig ein Hilfsmittel i. S. d. § 47 sein; vgl. auch LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil v. 30.4.2003, L 4 KR 190/01),
- Fahrradergometer nach Lungenerkrankung,
- Klimaanlage (SG Schleswig, Urteil v. 30.3.2021, S 28 KR 150/20),
- serienmäßig hergestelltes Tandem für einen blinden "Beifahrer".
Ein unter Beachtung des Bedarfs eines Menschen mit Behinderungen speziell ausgebildeter Hund, der aufgrund seiner Fähigkeiten und erlernten Assistenzleistungen dazu bestimmt ist, diesem Menschen die selbstbestimmte Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zu ermöglichen, zu erleichtern oder behinderungsbedingte Nachteile auszugleichen, stellt grundsätzlich ein Hilfsmittel i. S. d § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V/§ 47 und keinen Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens dar (LSG Baden-Württemberg, Urteil v. 31....