Entscheidungsstichwort (Thema)
Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes. Beginn der Jahresfrist des § 45 Abs 4 S 2 SGB 10. Anhörungsverfahren
Leitsatz (amtlich)
1. Der Beginn der Jahresfrist des § 45 Abs 4 S 2 SGB 10 setzt die objektive Kenntnis der die Rücknahme ermöglichenden Tatsachen, nicht aber die subjektive Erkenntnis der Rechtswidrigkeit des Ausgangsbescheides voraus.
2. Kennt eine Behörde die Tatsachen, die die Rechtswidrigkeit des Ausgangsverwaltungsaktes begründen, muss sie innerhalb eines Jahres mit der Ermittlung der subjektiven Voraussetzungen einer Rücknahme beginnen, insbesondere das Anhörungsverfahren einleiten. Tut sie dies nicht, ist eine Rücknahme des Ausgangsverwaltungsaktes durch den Ablauf der Jahresfrist des § 45 Abs 4 S 2 SGB 10 gehindert.
Normenkette
SGB X § 45 Abs. 4 S. 2, § 24 Abs. 1; SGB VI §§ 106, 106a; SGB V § 5 Abs. 1 Nr. 11
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Kiel vom 10. November 2010 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers für das Berufungsverfahren in voller Höhe.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Der am 1942 geborene Kläger wendet sich gegen einen Aufhebungs- und Erstattungsbescheid, mit dem die Beklagte die Gewährung eines Beitragszuschusses zur freiwilligen Kranken- und Pflegeversicherung zum Teil aufgehoben und zurückgefordert hat.
Die Beklagte gewährte dem Kläger mit Bescheid vom 21. Mai 2001 ab 1. Januar 2001 Rente wegen voller Erwerbsminderung. Zusätzlich zu dem ermittelten Zahlbetrag der Rente in Höhe von 1.988,54 DM monatlich gewährte sie dem Kläger einen Zuschuss zur Pflegeversicherung in Höhe von 16,76 EUR. Eine Entscheidung über einen Zuschuss für die Aufwendungen zur Krankenversicherung traf die Beklagte in diesem Bescheid noch nicht. Der Kläger hatte bei Antragstellung angegeben, Zuschüsse zu den Aufwendungen zur Krankenversicherung und Pflegeversicherung zu beantragen, da keine Versicherungspflicht in der Krankenversicherung/Pflegeversicherung bestehe und er freiwillig versichert sei. Der Kläger war damals freiwillig gesetzlich krankenversichert bei der Techniker Krankenkasse (TKK). Diese meldete der Beklagten am 10. Februar 2002 elektronisch, dass sich das Krankenversicherungsverhältnis des Klägers zum 1. April 2002 ändere und er ab dann in der gesetzlichen Krankenversicherung der Rentner (KVdR) pflichtversichert sei. Hintergrund war die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 15. März 2000 zur Verfassungswidrigkeit des die Voraussetzungen der Pflichtkrankenversicherung der Rentner regelnden § 5 Abs. 1 Nr. 11 Sozialgesetzbuch, Fünftes Buch (SGB V) in der damaligen Fassung (1 BvL 16/96 u. a.). Danach war das Erfordernis der Belegung des 9/10-Zeitraums mit Pflichtversicherungszeiten nur noch bis zum 31. März 2002 aufrecht zu erhalten.
Die elektronische Information der Techniker Krankenkasse wurde bei der Beklagten am 12. Februar 2002 gespeichert, fand bei der weiteren Aktenbearbeitung aber keine Beachtung.
Auf Nachfrage der Beklagten teilte die Techniker Krankenkasse am 9. April 2002 die Höhe der Beiträge in der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) und der Sozialen Pflegeversicherung (SPV) für den Zeitraum vom 1. Januar 2001 bis 31. März 2002 mit.
Mit Bescheid vom 27. Juni 2002 berechnete die Beklagte die Erwerbsminderungsrechte des Klägers mit Wirkung ab 1. Januar 2001 neu und gewährte ihm zusätzlich zum Nettobetrag der Rente einen Zuschuss zur Krankenversicherung in Höhe von 75,28 EUR und einen Zuschuss zur Pflegeversicherung in Höhe von 9,14 EUR monatlich. Der Bescheid enthielt dabei den Hinweis, dass der Anspruch auf den Beitragszuschuss für die freiwillige Krankenversicherung u. a. bei Eintritt von Krankenversicherungspflicht entfalle und daher die gesetzliche Verpflichtung bestehe, der Beklagten jede Änderung des Krankenversicherungsverhältnisses und jede Änderung der Beitragshöhe unverzüglich mitzuteilen.
Bis Juli 2007 leistete die Beklagte an den Kläger Zuschüsse für die GKV und die SPV in Höhe von insgesamt 4.919,49 €.
Am 19. Juni 2007 fragte die TKK über das elektronische Meldeverfahren bei der Beklagten an, warum diese keine Beiträge abziehe und erinnerte daran, dass sie der Beklagten mit Datensatz vom 10. Februar 2002 die KVdR ab 1. April 2002 gemeldet habe.
Mit Bescheid vom 5. Juli 2007 berechnete die Beklagte die Rente des Klägers mit Wirkung ab 1. Januar 2001 unter Berücksichtigung der aus dem Rentenbetrag einzubehaltenden Beiträge für die Pflichtversicherung in der GKV und der SPV neu. Dabei stellte sie für den zurückliegenden Zeitraum infolge der unterlassenen Einbehaltung von Beitragsanteilen zur Pflichtversicherung in der GKV und der SPV eine Überzahlung in Höhe von 5.201,17 EUR fest. Gleichzeitig hörte die Beklagte den Kläger zu der beabsichtigten Aufhebung und Rückforderung der geleisteten Zuschüsse zur freiwilligen GKV und SPV nach §§ 106, 106a Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) an.
Der Kläger wies in seiner Äußerung vom 30...