Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Krankengeld. Lücke zwischen Beendigung des Versicherungsverhältnisses und erstmaliger Feststellung der Arbeitsunfähigkeit
Leitsatz (amtlich)
Die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zur Unschädlichkeit von Lücken zwischen ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen (zuletzt BSG vom 21. September 2023 - B 3 KR 11/22 R) ist auf eine Lücke zwischen der Beendigung des Versicherungsverhältnisses mit Anspruch auf Krankengeld und der erstmaligen ärztlichen Feststellung der Arbeitsunfähigkeit nicht übertragbar.
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Lübeck vom 14. Juli 2021 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über den Anspruch der Klägerin auf Krankengeld für den Zeitraum 21. Oktober bis 4. Dezember 2017.
Die Klägerin war bei der Gebäudereinigungsfirma R. als Bürokraft und Vertreterin des Geschäftsführers beschäftigt. Am 9. Oktober 2017 schloss sie einen Aufhebungsvertrag, demzufolge das Arbeitsverhältnis zum 21. Oktober 2017 in gegenseitigem Einvernehmen beendet werden sollte. Wegen der Einzelheiten wird auf Bl. 7 der Verwaltungsakte Bezug genommen.
Am Freitag den 20. Oktober 2017 suchte die Klägerin zwischen 9:30 und 10:00 Uhr ohne Termin die Praxis ihres Hausarztes Dr. S. auf. Nachdem sie dort ca. eine Stunde im Wartezimmer verbracht hatte, verließ sie die Praxis wieder, ohne dass es zu einem Kontakt mit dem Arzt und zu einer ärztlichen Bescheinigung der Arbeitsunfähigkeit kam.
Am Montag den 23. Oktober 2017 suchte die Klägerin die Praxis erneut auf. Dr. S. bescheinigte Arbeitsunfähigkeit zunächst bis zum 3. November 2017 unter der Diagnose R53 G (Unwohlsein und Ermüdung). Mit Folgebescheinigungen vom 3. und 23. November 2017 wurde die Arbeitsunfähigkeit lückenlos bis zum 4. Dezember 2017 verlängert.
Mit Bescheid vom 4. Dezember 2017 lehnte die Beklagte die Gewährung von Krankengeld ab. Zur Begründung führte sie aus, dass zum Zeitpunkt der ärztlichen Feststellung der Arbeitsunfähigkeit am 23. Oktober 2017 kein Versicherungsverhältnis mit Anspruch auf Krankengeld mehr bestanden habe.
Dagegen erhob die Klägerin am 21. Dezember 2017 Widerspruch. Bereits mit E-Mail vom 4. Dezember 2017 hatte sie mitgeteilt, dass der Arzt ihr „heute“ bestätigt habe, die AU-Bescheinigung bis zu 3 Tage rückdatieren zu dürfen. Sie habe sich nach Absprache dazu entschlossen, die überfüllte Praxis zu verlassen, da sie nicht so lange der Arbeit habe fernbleiben dürfen. Mittags habe sie die Arbeit dann abgebrochen und sei nochmals zur Praxis gekommen. Zu diesem Zeitpunkt sei allerdings schon geschlossen gewesen.
Mit Widerspruchsbescheid vom 18. April 2018 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück.
Gegen den Bescheid vom 4. Dezember 2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 18. April 2018 hat die Klägerin am 11. Mai 2018 Klage beim Sozialgericht Lübeck erhoben.
Sie hat zur Begründung vorgetragen, dass die Terminsverschiebung am 20. Oktober 2017 wegen hohen Arbeitsaufkommens ärztlich veranlasst gewesen sei. Sie habe nicht ahnen können, dass sich die Bitte, sich am 23. Oktober 2017 erneut vorzustellen, negativ auf ihren Krankengeldanspruch auswirken könne. Ein Verschulden des Arztes müsse der Krankenkasse zugerechnet werden.
Sie hat beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 4. Dezember 2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 18. April 2018 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr Krankengeld für den Zeitraum 22. Oktober bis 4. Dezember 2017 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat auf ihre Bescheide Bezug genommen.
Das Sozialgericht hat eine schriftliche Aussage des Dr. S. eingeholt. Wegen der Einzelheiten wird auf dessen Schreiben vom 28. Juni 2020 (Bl. 52 f. der Gerichtsakte SG) Bezug genommen.
Mit Urteil vom 14. Juli 2021 hat das Sozialgericht Lübeck die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass - zwischen den Beteiligten unstreitig - Arbeitsunfähigkeit erst am 23. Oktober 2017 und damit zu einem Zeitpunkt ärztlich festgestellt worden sei, an dem ein Versicherungsverhältnis mit Anspruch auf Krankengeld nicht mehr bestanden habe. Entgegen der Auffassung der Klägerin liege auch kein Ausnahmefall vor, bei dem eine lückenlose Kette von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen entbehrlich wäre. Es sei bereits in hohem Maße zweifelhaft, könne jedoch im Ergebnis offenbleiben, ob die dazu in den Entscheidungen vom 11. Mai 2017 - B 3 KR 22/15 R - und 26. März 2020 - B 3 KR 9/19 R - ergangene Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) auf den vorliegenden Fall überhaupt Anwendung finde, weil es sich hier um eine erstmalige Feststellung der Arbeitsunfähigkeit handele, während die höchstrichterliche Rechtsprechung sämtlich zu Folgebescheinigungen ergangen sei. Offenbleiben könne auch, ob wegen der Prüfung der Voraussetzungen eines Ausnahmefalls überhaupt auf den ersten Besuch der P...