Entscheidungsstichwort (Thema)
Auslegung von § 130 Abs. 2 SGB III (juris: SGB 3)
Orientierungssatz
1. Ziel des § 130 Abs. 2 SGB III (juris: SGB 3) ist es, die negativen Folgen abzumildern, die sich aus atypischen Beschäftigungsverhältnissen ergeben, weil das hierbei erzielte Arbeitsentgelt nicht das repräsentiert, was der Arbeitslose künftig an Entgelt erzielen kann.
2. Die in § 130 Abs. 2 SGB III (juris: SGB 3) genannten atypischen Beschäftigungsverhältnisse sollen bei der Leistungsbemessung außer Betracht bleiben, um unbillige Bemessungsergebnisse zu verhindern.
3. § 130 Abs. 2 SGB III (juris: SGB 3) führt nicht dazu, dass der einjährige Bemessungsrahmen verschoben würde. Aufgrund der klaren Trennung der Begriffe Bemessungszeitraum und Bemessungsrahmen in § 130 Abs. 1 SGB III (juris: SGB 3) kann § 130 Abs. 2 SGB III (juris: SGB 3) nicht entgegen seinem eindeutigen Wortlaut auf den Bemessungsrahmen Anwendung finden.
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten.
Tatbestand
Streitig ist die Höhe des der Klägerin zustehenden Arbeitslosengeldes.
Die im Jahr 0000 geborene Klägerin befand sich vom 01.07.2000 bis zum 31.12.2005 in einem Arbeitsverhältnis als Unternehmensjuristin. Bis zum 21.03.2004 arbeitete sie Vollzeit (40 Stunden/Woche) und verdiente im Monat 4.700,- EUR brutto (= 2.812,11 EUR netto bei Steuerklasse I). Vom 22.03.2004 bis zum 29.06.2004 war sie in Mutterschutz. Am 04.05.2004 wurde ihr Sohn geboren. Im Anschluss an den Mutterschutz ging die Klägerin am 30.06.2004 in Elternzeit. Beabsichtigt war eine Elternzeit von zwei Jahren. Während der Elternzeit arbeitete sie ab dem 01.08.2004 in Teilzeit (20 Stunden/Woche). Am 27.09.2005 kündigte der Arbeitgeber aufgrund von Insolvenz das Arbeitsverhältnis zum 31.12.2005. Daraufhin meldete sich die Klägerin am 30.09.2005 mit Wirkung zum 01.01.2006 arbeitslos.
Mit Bescheid vom 13.01.2006 bewilligte die Beklagte Arbeitslosengeld ab dem 01.01.2006 für die Dauer von 360 Tagen. Der Berechnung legte sie nach § 132 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) ein fiktives Arbeitsentgelt von 98,- EUR zugrunde, da im erweiterten Bemessungsrahmen vom 01.01.2004 bis 31.12.2005 keine 150 Tage mit Anspruch auf Arbeitsentgelt festzustellen seien. Unter Berücksichtigung der für das Jahr 2006 eingetragenen Lohnsteuerklasse V ergab sich daraus ein Arbeitslosengeld von 29,62 EUR pro Tag (= 888,60 Euro/Monat).
Gegen die fiktive Berechnung des Bemessungsentgeltes erhob die Klägerin Widerspruch mit der Begründung, in dem auf zwei Jahre erweiterten Bemessungsrahmen nach § 130 Abs. 3 SGB III vom 01.01.2004 bis 31.12.2005 seien insgesamt 150 Tage mit Anspruch auf Arbeitsentgelt enthalten. Bei dem ab dem 22.03.2004 gezahlten Zuschuss zum Mutterschaftsgeld handele es sich nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) um einen gesetzlichen Anspruch auf Arbeitsentgeltfortzahlung. Sofern die Beklagte meine, die Zeit des Mutterschutzes nicht berücksichtigen zu können, seien nur die an 150 Tagen fehlenden Tage mit dem fiktiven "Arbeitsentgelt" aufzufüllen. Die Anwendung des § 130 SGB III bedeute dem Wortlaut nach eine klare Benachteiligung der Mutter in Elternzeit. Die Elternzeit müsse deshalb nicht bei der Ermittlung des Bemessungszeitraums, sondern bei der Ermittlung des Bemessungsrahmens außer Betracht bleiben. Diesen Widerspruch wies die Beklagte durch Widerspruchsbescheid vom 03.03.2006 als unbegründet zurück. Im Wesentlichen wurde ausgeführt, der Zuschuss zum Mutterschaftsgeld stelle kein Arbeitsentgelt im Sinn des § 14 Abs. 1 Viertes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV) dar. Das während der Elternzeit erzielte Arbeitsentgelt könne nach § 130 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 SGB III nicht berücksichtigt werden, da die Klägerin ihre Arbeitszeit wegen der Betreuung ihres Kindes reduziert habe.
Hiergegen hat die Klägerin am 03.04.2006 unter dem Aktenzeichen S 21 AL 38/06 Klage erhoben. Durch Vorlagebeschluss vom 23.07.2007 ist das Verfahren ausgesetzt und dem Bundesverfassungsgericht zur Entscheidung über die Frage vorgelegt worden, ob § 130 Abs. 1 Satz 1 SGB III in der Fassung des Artikels 1 Nr. 71 des Dritten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt mit Artikel 6 Abs. 4 des Grundgesetzes (GG) vereinbar ist, soweit der Bemessungszeitraum nicht die Zeit des Mutterschutzes umfasst. Nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (Beschluss vom 14.03.2011 - 1 BvL 13/07) ist das Verfahren unter dem Aktenzeichen S 15 AL 118/11 WA wieder aufgenommen worden.
Die Klägerin vertritt die Auffassung, es könne nur ein redaktionelles Versehen sein, dass die Elternzeit nach dem Wortlaut des § 130 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 SGB III bei der Festlegung des Bemessungszeitraums außer Betracht bleiben solle und nicht bei der Festlegung des Bemessungsrahmens unberücksichtigt bleibe. Zielsetzung des § 130 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 SGB III sei der Schutz von Müttern, die Kinder unter drei Jahren erziehen. Werde § 130 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 SGB III entsprechend des W...