Entscheidungsstichwort (Thema)
Berufsausbildungsbeihilfe. Vorausleistung. Gefährdung der Ausbildung. Abzweigung von Kindergeld. pauschalierende Betrachtungsweise. abstrakte Gefährdungslage. Bedarfsunterdeckung. Berücksichtigung des Mietkostenzuschusses nach SGB 2
Orientierungssatz
1. Bei der Vorausleistung der Berufsausbildungsbeihilfe (BAB) handelt es sich wie bei der Vorausleistung von BAföG nach § 36 BAföG um eine besondere Leistung, die darauf abstellt, dass ein Abbruch der Ausbildung nur deshalb, weil der errechnete Unterhalt der Eltern nicht gezahlt wird, vermieden werden soll.
2. In einem Fall der Kindergeldabzweigung nach § 74 EStG kommt es bei der Prüfung eines Antrags auf Vorausleistung nur darauf an, ob wegen des zufließenden Kindergeldes eine Gefährdung der Ausbildung ausgeschlossen werden kann.
3. Die Einschätzung, ob wegen verweigerten Unterhalts ein Abbruch oder ein Scheitern (Nichtbestehen von Prüfungen) der Ausbildung droht, ist anhand einer pauschalierenden Betrachtungsweise (abstrakte Gefährdungslage) vorzunehmen; dabei ist der BAB-Hilfebedarf dem zur Verfügung stehenden Einkommen gegenüberzustellen.
4. Eine abstrakte Gefährdung für eine BAB-Vorausleistung liegt grundsätzlich vor, wenn das aktuell zur Verfügung stehende Einkommen plus Kindergeld unter dem BAB-Regelbedarf plus dem Unterkunftskostenzuschuss nach § 22 Abs 7 SGB 2 liegt, der dem Auszubildenden im Fall einer Gewährung der BAB-Vorausleistung als eine gegenüber dem Mietzuschuss vorrangige Sozialleistung zustünde.
Tenor
Die Beklagte wird unter Aufhebung der Bescheide vom und in der Fassung der Widerspruchsbescheide vom und … verurteilt, dem Kläger im Wege der Vorausleistung nach § 72 SGB III (a. F.) BAB zu gewähren,
- für die Monate Mai bis Juli 2010 monatlich 142 €
- für die Monate August 2010 bis Juli 2011 monatlich 155 €
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Tatbestand
Streitig ist ein Anspruch auf Vorausleistung von Berufsausbildungsbeihilfe (BAB) nach § 72 SGB III in der bis zum 31.3.2012 geltenden Fassung (a. F.).
Der 1986 geb. Kläger absolvierte in der Zeit von August 2008 bis Juli 2011 eine Ausbildung zur Fachkraft Lagerlogistik. Er unterhielt eine eigene Wohnung in Berlin mit einer Miete von 384,65 € monatlich (in 2010 und 2011).
Im ersten Bewilligungszeitraum von August 2008 bis Januar 2010 ermittelte die Beklagte einen BAB-Anspruch von 10 € monatlich unter Anrechnung eines Unterhaltsanspruchs des Klägers gegenüber seiner Mutter in Höhe von 201,63 €.
Da die Mutter den errechneten Unterhalt nicht zahlte, gewährte die Beklagte im Wege der Vorauszahlung nach § 72 SGB III a. F. BAB von 162 € unter Anrechnung eines von der Mutter des Klägers unter Vorbehalt gezahlten Unterhalts von 50 € monatlich.
Ergänzend zu der BAB-Vorausleistung von 162 € erhielt der Kläger vom Jobcenter einen Mietzuschuss nach § 22 Abs. 7 SGB II a. F.
Seinem Antrag auf Abzweigung des Kindergeldes (§ 74 EStG) wurde erst nach Einschaltung des Familiengerichts im Februar 2010 entsprochen. Die Nachzahlung des Kindergeldes für den Zeitraum Januar 2008 bis Januar 2010 ging bis auf einen Betrag von 498,70 € über einen Erstattungsanspruch nach § 104 SGB X an das Jobcenter.
Im Folgeantrag für den Bewilligungszeitraum von Februar 2010 bis Juli 2011 hatte der Kläger seinen Vorauszahlungsantrag erneuert und vorgetragen, dass seine Mutter nach wie vor keinen Unterhalt zahle. Auch die unter Vorbehalt gezahlten 50 € erhalte er nicht mehr.
Unter Berücksichtigung der für den Bewilligungszeitraum ermittelten Ausbildungsvergütung von 481,26 € und einem rechnerischen BAB-Unterhalt der Mutter von 219,35 € bei einem BAB-Bedarf von 623 € lehnte die Beklagte den BAB-Anspruch mangels Hilfebedarfs ab (Bescheid vom .
Der Antrag auf Vorausleistung war zuvor mit Bescheid vom abgelehnt worden, weil das laufende Einkommen des Klägers zusammen mit dem abgezweigten Kindergeld eine Gefährdung der Ausbildung aus wirtschaftlichen Gründen ausschließe.
Gegen beide Bescheide erhob der Kläger Widerspruch und verwies auf Mietschulden, da ohne Auszahlung von BAB auch der Anspruch nach § 22 Abs. 7 SGB II gegenüber dem Jobcenter entfalle.
Die Beklagte blieb jedoch bei der Ablehnung, da abgezweigtes Kindergeld im Rahmen der Vorausleistung als bedarfsminderndes Einkommen angerechnet werde (Widerspruchsbescheid vom , und überdies als Unterhaltsbestimmung nach § 1612 BGB eine Vorausleistung nach § 72 Abs. 3 SGB III a. F. ausschließe (Widerspruchsbescheid vom .
Mit der am 2010 beim Sozialgericht Berlin erhobenen Klage begehrt der Kläger nach verständiger Auslegung seines Klageantrags eine Vorausleistung der BAB ohne Berücksichtigung des Kindergeldes.
In einem erfolglos gebliebenen Eilantrag vom '010 hatte der Kläger eine wirtschaftliche Notlage geltend gemacht. Aus seinem PKH-Antrag geht hervor, dass ihm laufende Einnahmen von 452,33 € Ausbildungsvergütung (netto) plus 184 € Kindergeld zur Verfügung standen bei einer Miete von 384,65 € und Abschlägen für die Stro...