Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitslosengeldanspruch. Erfüllung der Anwartschaftszeit. durch arbeitsgerichtlichen Vergleich erlangte Gehaltszahlungen nach dem leistungsrechtlichen Ende des Beschäftigungsverhältnisses und während des Bezugs eines Restanspruchs von Arbeitslosengeld. beitragsrechtlicher Beschäftigungsbegriff. Ende des Versicherungspflichtverhältnisses. fehlender Wille der Arbeitsvertragsparteien zur Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses. Vollzug des Beschäftigungsverhältnisses. Beginn und Ende der Rahmenfrist. Arbeitslosengeldbezug im Wege der Gleichwohlgewährung. Einfluss des Restanspruchs von Arbeitslosengeld auf die Rahmenfrist
Leitsatz (amtlich)
1. Für die Frage, ob ein Beschäftigungsverhältnis gemäß § 24 SGB III der Versicherungspflicht unterliegt, ist ausschließlich der beitragsrechtliche Beschäftigungsbegriff maßgeblich (Fortsetzung von SG Karlsruhe vom 23.5.2017 - S 2 AL 1779/16, juris).
2. Der übereinstimmende Wille zur Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses ist nicht in jedem Fall alleinige Voraussetzung für das Fortbestehen eines Versicherungspflichtverhältnisses (insoweit Abweichung von BSG vom 4.7.2012 - B 11 AL 16/11 R = SozR 4-4300 § 123 Nr 6). Wird um die Rechtmäßigkeit der Kündigung des Arbeitgebers (ohne entsprechenden Fortsetzungswillen) in einem arbeitsgerichtlichen Prozess, als dessen Ergebnis sich durch Vergleich oder Urteil bei Annahmeverzug des Arbeitgebers ein nach der Einstellung der Arbeit liegendes Ende des Arbeitsverhältnisses ergibt, gestritten, ist allein dieser Zeitpunkt auch für das Ende des Versicherungspflichtverhältnisses maßgeblich, denn auch in diesem Fall liegt ein ausreichender Vollzug des Beschäftigungsverhältnisses vor (insoweit Anschluss an BSG vom 24.9.2008 - B 12 KR 22/07 R = SozR 4-2400 § 7 Nr 9).
3. Einschränkungen beim Erwerb von Anwartschaftszeiten ergeben sich allein aus § 142 Abs 1 S 2 SGB III und aus Beginn, Ende und ggfs. Verkürzung der Rahmenfrist nach § 143 SGB III.
4. Soweit sich ein Versicherter bereits persönlich arbeitslos meldet, bevor eine neue Anwartschaftszeit erfüllt ist, beginnt eine neue Rahmenfrist gleichwohl erst dann zu laufen, wenn auch die allein beitragsrechtlich zu bestimmende Anwartschaftszeit als Voraussetzung für einen neuen Anspruch auf Arbeitslosengeld erfüllt ist; die vorherige Bewilligung eines unverbrauchten Restanspruchs hat hingegen keinen Einfluss auf die Entstehung einer neuen Rahmenfrist (Abweichung von BSG vom 11.12.2014 - B 11 AL 2/14 R = SozR 4-4300 § 124 Nr 6).
5. Der Erwerb weiterer Anwartschaftszeiten durch im arbeitsgerichtlichen Verfahren erreichte Gehaltszahlungen ist parallel zum Bezug eines unverbrauchten Restanspruchs auf Arbeitslosengeld möglich.
Orientierungssatz
Az beim LSG Stuttgart: L 13 AL 1618/22
Tenor
Die beiden Ablehnungsbescheide vom 04.05.2020 in der Fassung des nicht aufgehobenen Ablehnungsbescheids vom 21.07.2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 22.07.2020 in der Fassung der Bescheide vom 02.10.2020 werden abgeändert und die Beklagte zu verurteilt, dem Kläger für die Zeit ab dem 16.10.2020 Arbeitslosengeld nach den gesetzlichen Vorgaben zu gewähren.
Die Beklagte hat dem Kläger dessen außergerichtliche Kosten zu erstatten.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten zuletzt darüber, ob dem Kläger ab dem 16.10.2019 ein neuer Anspruch auf Arbeitslosengeld zusteht oder lediglich ein Restanspruch von 12 Tagen zu bewilligen ist.
Die Beklagte bewilligte dem Kläger mit Bescheid vom 28.07.2017 bei einem Anspruchsbeginn am 01.07.2017 und einer Anspruchsdauer von 360 Kalendertagen Arbeitslosengeld bei Arbeitslosigkeit in Höhe von 42,38 € (Auszahlungsbetrag) unter Berücksichtigung eines Bemessungsentgelts von 95,77 €, der Lohnsteuerklasse II, der Lohnsteuertabelle 2017 und einem Prozentsatz von 67 %. Diese Bewilligung änderte die Beklagte mit diversen Beschieden ab und gewährte zuletzt mit Änderungsbescheid vom 13.09.2018 nach Abschluss einer Weiterbildungsmaßnahme für die anschließenden 30 Tage (Restanspruch) bei Anspruchsbeginn am 20.09.2018 und Anspruchsende am 19.10.2019 Arbeitslosengeld in Höhe von weiterhin 42,38 €.
Mit Aufhebungsbescheid vom 08.10.2018 hob die Beklagte die Bewilligung wegen von Arbeitslosengeld ab dem 08.10.2018 wegen Aufnahme einer Beschäftigung auf.
Am 11.10.2018 schloss der Kläger einen unbefristeten Arbeitsvertrag mit einer neuen Arbeitgeberin bei Beginn der Tätigkeit am 08.10.2018 ab.
Mit Schreiben vom 10.09.2019 kündigte die Arbeitgeberin (ein Omnibusunternehmen, bei welchem der Kläger als Fahrer beschäftigt gewesen ist) dem Kläger außerordentlich zum 10.09.2019, hilfsweise zum 15.10.2019. Der Kläger habe am 30.09.2019 einen PKW unter Alkoholeinfluss geführt. Bei der Blutentnahme sei festgestellt worden, dass die Blutalkoholkonzentration 1,77 Promille betragen habe. Der Führerschein sei von der Polizei beschlagnahmt worden. Zwar sei der Kläger nicht im Dienst alkoholisiert gefahren. Der hohe Promillewert lasse jedoch stark an der Zuverlässigkeit als Berufskraftfahrer zweifeln...