Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialhilfe. Eingliederungshilfe. Kraftfahrzeughilfe. Erlangung einer Fahrerlaubnis und behindertengerechter Umbau eines Kraftfahrzeuges. Angewiesensein auf das Kraftfahrzeug. Häufigkeit der Nutzung. Vermögenseinsatz. Härte
Leitsatz (amtlich)
Keine Übernahme von Kosten für den Erwerb einer Fahrerlaubnis und den behinderungsgerechten Umbau eines Pkw aus Mitteln der Eingliederungshilfe bei ausreichendem Vermögen des Ehepartners des Hilfesuchenden.
Orientierungssatz
1. Im Hinblick auf das bei jeder Eingliederungsmaßnahme zu prüfende Merkmal der Notwendigkeit (§ 4 Abs 1 SGB 9) ist das Merkmal der Angewiesenheit nur zu bejahen, wenn das Kraftfahrzeug als grundsätzlich geeignete Eingliederungsmaßnahme unentbehrlich zum Erreichen der Eingliederungsziele ist, die darin liegen, eine Behinderung oder deren Folgen zu beseitigen, zu mildern und den behinderten Menschen in die Gesellschaft einzugliedern.
2. Angewiesensein bedeutet wegen Fehlens anderweitiger Beförderungsmöglichkeiten die Notwendigkeit einer wiederkehrend häufigen Nutzung eines eigenen Kraftfahrzeuges, also nicht nur vereinzelt oder gelegentlich.
3. Die Vermögensverwertung stellt nur dann eine Härte iS des § 90 Abs 3 SGB 12 dar, wenn ihre Auswirkungen deutlich über den bloßen Vermögensverlust infolge der Verpflichtung zur Deckung des sozialhilferechtlichen Bedarfs hinausgehen.
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Übernahme bzw. Erstattung von Kosten für den Erwerb einer Fahrerlaubnis der Klasse “B„ (= PKW) und für den behinderungsgerechten Umbau eines Kraftfahrzeugs aus Sozialhilfemitteln.
Die 19... geborene Klägerin leidet an einer spina bifida (= offener Rücken), einer angeborenen Fehlbildung der Wirbelsäule und des Rückenmarks, mit partieller Lähmung der Beine und an einer Harn- und Stuhlinkontinenz. Sie ist als schwerbehinderter Mensch mit einem Grad der Behinderung von 100 anerkannt; außerdem sind ihr die Nachteilsausgleiche “G„, “B„ und “aG„ zuerkannt. Von der Deutschen Rentenversicherung Bund bezieht die Klägerin Versichertenrente wegen voller Erwerbsminderung.
Im August 2012 zog die Klägerin von B. nach W.-E. zu ihrem damaligen Lebensgefährten, den sie am 20.12.2013 ehelichte. Im Februar 2013 kam die gemeinsame Tochter zur Welt.
Am 13.01.2014 stellt die Klägerin beim Beklagten den Antrag, die Kosten für den Erwerb einer Fahrerlaubnis der Klasse “B„ und den behinderungsgerechten Umbau eines Kfz aus Mitteln der Eingliederungshilfe nach den Bestimmungen des Sechsten Kapitels des Sozialgesetzbuchs - Sozialhilfe - (SGB XII) zu übernehmen. Hierzu trug sie vor, ihre Tochter besuche seit dem 06.03.2014 eine Kindertagesstätte. Da ihr Ehemann das Kind berufsbedingt weder morgens dorthin bringen noch nachmittags von dort abholen könne, sei sie zwingend auf ein Fahrzeug angewiesen. Ein solches benötige sie auch für die Durchführung von Einkäufen, für Arzttermine und zur Teilnahme am gesellschaftlichen Leben. Außerdem beabsichtige sie, wenn sich ihre Tochter in der Kindertagesstätte gut eingelebt habe, den Weg zurück in die Arbeitswelt zu finden. Ergänzend legte die Klägerin den Kostenvoranschlag des Mobilcenters Z. GmbH, M., über 4.951,80 € für den behinderungsgerechten Fahrzeugumbau vor. Am 19.03.2014 legte sie erfolgreich die Fahrprüfung ab. Für die Fahrausbildung entstanden Kosten von 3.158,90 € (Rechnung der Fahrschule T. vom 19.03.2014).
Der Beklagte lehnte den Antrag mit der Begründung ab, die Klägerin könne die Aufwendungen für den Erwerb einer Fahrerlaubnis und den behinderungsgerechten Umbau des Kraftfahrzeugs in Höhe von insgesamt “8.137,70 €„ (rechnerisch tatsächlich: 8.110,70 €) aus Einkommen und Vermögen der Eheleute in vollem Umfang selbst aufbringen. Sie sei deshalb nicht bedürftig (Bescheid vom 03.04.2014). Wegen der Berechnung des Vermögenseinsatzes von 11.376,33 € und eines Einkommenseinsatzes von 830,72 € wird auf die dem Bescheid beigefügte Anlage Bezug genommen.
Zur Begründung ihres dagegen erhobenen Widerspruchs trug die Klägerin im Wesentlichen vor, der Beklagte habe zum Vermögenseinsatz nur eine schematische Berechnung vorgenommen, ohne die Besonderheiten des Einzelfalls ausreichend zu würdigen. Insbesondere habe er zu Unrecht eine Erhöhung von Vermögensfreibeträgen unter Berücksichtigung von Art und Dauer des Bedarfs und der besonderen Belastungssituation der Klägerin und ihrer Familie unterlassen. Der Erwerb einer Fahrerlaubnis sei eine einmalige Angelegenheit, die mit einer außergewöhnlich hohen finanziellen Belastung verbunden sei. Die insoweit von ihr begehrte Hilfeleistung sei deshalb keine Dauerleistung. Außerdem habe der Beklagte zu Unrecht die Herkunft des Vermögens unberücksichtigt gelassen: Das von ihm angerechnete Vermögen stamme allein von ihrem Ehemann und stehe ausschließlich in dessen Eigentum. Ihr Ehemann habe das Vermögen über einen längeren Zeitraum und lange, bevor er 2012 eine Lebens- und Bedarfsgemeinschaft...