Entscheidungsstichwort (Thema)
Gründungszuschuss. Ermessensleistung. Ablehnung wegen Vorranges der Vermittlung in abhängige Beschäftigung. Ermessensfehlgebrauch
Leitsatz (amtlich)
1. Bei der Entscheidung über die Bewilligung eines Gründungszuschusses darf die Agentur für Arbeit im Rahmen ihres Ermessens der Vermittlung in ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis Vorrang vor der Förderung einer selbständigen Existenzgründung einräumen.
2. Die Ermessensausübung ist dann ermessensfehlerhaft, wenn die Anzahl der aktuell freien Stellen im bisherigen Beruf des Arbeitslosen im Tagespendelbereich gering ist.
3. Stellenangebote als Filialleiter in anderen Branchen als der, in der der Arbeitslose bisher gearbeitet hat, rechtfertigen im Rahmen pflichtgemäßer Ermessenausübung nicht die Ablehnung der Gewährung eines Gründungszuschusses.
Tenor
1. Der Bescheid der Beklagten vom 4.10.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.11.2012 wird aufgehoben.
2. Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger unter Beachtung der Rechtssauffassung des Gerichts neu zu bescheiden.
3. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Gewährung eines Gründungszuschusses nach dem Dritten Buch des Sozialgesetzbuches (SGB III).
Der am …. 1973 geborene Kläger hat in den Jahren 1991 bis 1995 den Beruf des Radio- und Fernsehtechnikers erlernt. Vom 1.1.2003 bis 31.8.2012 war er in T. als angestellter Filialleiter bei dem Telefonunternehmen V. beschäftigt. Das Beschäftigungsverhältnis endete durch Kündigung des Klägers. Als Grund für die Kündigung gab der Kläger eine zu hohe Stressbelastung in seiner Tätigkeit als Filialleiter an. Die Hausärzte des Klägers bestätigten in einer ärztlichen Stellungnahme vom 11.7.2011, dass die Tätigkeit als Filialleiter eines V.-Shops vom Kläger nicht mehr ausgeübt werden könne. Der Kläger leide an Konzentrationsstörungen und Schlafstörungen.
Am 5.6.2012 beantragte der Kläger die Bewilligung von Arbeitslosengeld ab dem 1.9.2012, welches ihm antragsgemäß bewilligt wurde.
Bereits am 4.7.2012 stellte der Kläger bei der Beklagten einen Antrag auf Bewilligung eines Gründungszuschusses als Betreiber einer V. Partneragentur. Er legte eine Stellungnahme einer fachkundigen Stelle zur Tragfähigkeit der Existenzgründung und einen Businessplan vor. Der Kläger meldete zum 3.9.2012 ein Gewerbe “Einzelhandel mit Telekommunikationsgeräten/-artikeln„ an und sich am gleichen Tage aus dem Leistungsbezug ab.
Die Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 4.10.2012 ab. Zur Begründung führte sie aus, die Erfüllung der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 93 SGB III seien nicht ausreichend. Bei dieser Vorschrift handele es sich um eine Ermessensvorschrift. Im Rahmen von Ermessensleistungen könne eine Leistung nur gewährt werden, wenn die Interessenabwägung unter Berücksichtigung aller Gesichtspunkte - insbesondere der Interessen der Beitragszahler - zu Gunsten des Antragstellers ausfalle. Bei dieser Abwägung sei der Vorrang der Vermittlung nach § 4 Abs 2 SGB III zu berücksichtigen. Aufgrund des beruflichen Werdeganges und der Qualifikation des Klägers gehe sie davon aus, dass bei aktiver Arbeitssuche durch den Kläger Arbeitslosigkeit beendet werden könne. Diese ungeförderte Integration sei aus Gründen der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit vorrangig vor einer geförderten Existenzgründung zu sehen.
Der Kläger legte Widerspruch ein und trug zur Begründung vor, er habe die Arbeitssuche sehr intensiv betrieben und zahlreiche Bewerbungen bei verschiedensten Arbeitgebern eingereicht. Eine positive Rückmeldung habe er jedoch zu keiner Zeit erhalten, so dass er von einer in der Zukunft liegenden zeitnahen Integration nicht ausgegangen sei. Auch habe er die Jobbörse der Beklagten intensiv genutzt und die jeweiligen Arbeitgeber bei geeigneten Stellenangeboten kontaktiert.
Die Beklagte ermittelte im November 2012 freie Arbeitsstellen für Filialleiter bei einem Lebensmitteldiscounter, bei zwei Bekleidungsgeschäften, bei einem Handelsunternehmen, bei einem Autozubehörunternehmen, bei einem Logistikunternehmen und bei einem Mobilfunkladen, davon vier im zumutbaren Pendelbereich. Mit Widerspruchsbescheid vom 22.12.2012 wurde der Widerspruch des Klägers zurückgewiesen. Die Beklagte führte aus, der Kläger sei ein motivierter, mobiler und sehr gut qualifizierter Bewerber ohne erkennbare Hemmnisse, der über eine langjährige Berufserfahrung als Filialleiter/Verkaufsstellenleiter verfüge. Dem allgemeinen Arbeitsmarkt habe er sich für Vollzeitbeschäftigungen zur Verfügung gestellt. Auf dem für ihn fachlich und persönlich in Betracht kommenden Arbeitsmarkt seien Integrationsmöglichkeiten in eine unbefristete sozialversicherungspflichtige Vollzeitbeschäftigung vorhanden. Der Beklagten seien am 21.11.2012 mehrere potenzielle Vollzeitstellen als Filialleiter/Verkaufsstellenleiter innerhalb des zumutbaren Tagespendelbereiches gemeldet gewesen, darunter auch eine Beschäftigung als Filialleiter in einem Mobilfunkla...