Dipl.-Ing. Cornelia von Quistorp
Zusammenfassung
Sitz-Steh-Dynamik ist der häufige Wechsel zwischen Sitzen, Stehen und Bewegen insbes. bei Bildschirmarbeit mit dem Ziel, die einseitige Belastung durch langes Sitzen zu vermeiden. Die Sitz-Steh-Dynamik will einen durch Dauersitzen geprägten Arbeitsstil zugunsten von mehr Bewegung verändern, um Gesundheit, Wohlbefinden und Leistung zu verbessern.
Nach Anhang 6.1 Abs. 1 ArbStättV sind die Grundsätze der Ergonomie auf Bildschirmarbeitsplätze anzuwenden. Die Grundsätze der Ergonomie sind in DIN EN ISO 6385:2016-12 "Grundsätze der Ergonomie für die Gestaltung von Arbeitssystemen" niedergelegt, die die Sitz-Steh-Dynamik fordert. Gemäß Anhang 6.1 Abs. 2 ArbStättV muss der Arbeitgeber dafür sorgen, dass die Tätigkeiten der Beschäftigten an Bildschirmgeräten durch andere Tätigkeiten oder regelmäßige Erholungszeiten unterbrochen werden. Zudem müssen die Beschäftigten ausreichend Raum für wechselnde Arbeitshaltungen und -bewegungen haben (Anhang 6.1 Abs. 3 ArbStättV).
Details dazu regelt Abschn. 6.3.9 ASR A6:
"Ein Bildschirmarbeitsplatz ist vorzugsweise als Sitz oder Steh-/Sitzarbeitsplatz einzurichten. ...
Um einen dynamischen Wechsel zwischen sitzenden und stehenden Tätigkeiten zu erleichtern, werden höhenverstellbare Arbeitsflächen empfohlen.
Stufenlos höhenverstellbare Arbeitsflächen von 650 mm bis 1250 mm sind gegenüber den einstellbaren oder festen Arbeitsflächenhöhen vorzuziehen."
Die DGUV-I 215-410 "Bildschirm- und Büroarbeitsplätze" spiegelt den Stand der wissenschaftlichen Erkenntnis wider. Der Wechsel zwischen Sitz- und Stehhaltung (Sitz-Steh-Dynamik) wird in Abschn. 8.3.1 unter den wichtigen Kriterien zur Auswahl von Tischen explizit genannt: "Unter Berücksichtigung der Verstellmöglichkeiten des Arbeitstisches/der -fläche sollte die Arbeitshöhe an die unterschiedlichen Körpermaße des Menschen und die Arbeitsaufgabe sowohl im Sitzen als auch im Stehen angepasst werden können."
1 Lebensprinzip Bewegung
Bewegung ist ein notwendiges Lebensprinzip und ein unverzichtbarer Entwicklungsimpuls. Schon Atmung und Herzschlag sind Bewegung, und ohne Bewegung kommen wichtige Körperfunktionen wie
- venöser Rückfluss und
- Bandscheibenernährung zum Erliegen.
Weil viele Menschen allerdings eine Lebensweise praktizieren, in der sie sozusagen aufstehen, um sich hinzusetzen, sind Probleme des Muskel-Skelett-Systems weit verbreitet und schon seit vielen Jahrzehnten eine der Hauptursachen für Arbeitsausfälle- gleich nach den Atemwegserkrankungen.
1.1 Dauersitzen ist teuer
Die Missachtung des Lebensprinzips Bewegung schadet der Gesundheit des Einzelnen und kostet die Gesellschaft Milliarden. Zwar haben die ergonomischen Verbesserungen besonders an Arbeitsdrehstühlen in den vergangenen Jahrzehnten dazu beigetragen, dass bestimmte Belastungen (z. B. für den unteren Rücken) reduziert werden konnten. Darüber hinaus ist aber nicht zu erwarten, dass besserer Gesundheitsschutz am Sitzarbeitsplatz durch eine verbesserte Sitzqualität erreicht werden kann. Es gilt, das "dynamische System" unseres Körpers anzusprechen, ohne dabei Einbußen in den notwendigen Arbeitsprozessen hinnehmen zu müssen.
Sitzen ist immer eine rückenfeindliche Körperhaltung. Insbesondere das Arbeiten am PC bringt unseren Organismus – ein dynamisches System aus ca. 640 Muskeln, die normalerweise über 50 % unserer Körpermasse ausmachen – in eine Zwangshaltung, die "zwangsläufig" zu Schäden führen muss. Der Mensch ist das einzige Wesen auf der Erde, das mit einer senkrechten Körperachse ausgestattet ist. Verändert er diese auf Dauer (8 Stunden Schreibtisch), müssen an der Architektur der Wirbelsäule Schäden entstehen, wie es millionenfach nachgewiesen ist.
Rückenschmerzen sind und bleiben eine Volkskrankheit:
- Ca. 30 % der Deutschen geben bei Befragungen jeweils an, akut in der vergangenen Woche unter Rückenschmerzen gelitten zu haben.
- Ca. 60 % geben an, im vergangenen Jahr unter Rückenschmerzen gelitten zu haben.
- Mehr als 80 % sind irgendwann im Leben von Rückenschmerzen betroffen.
- Ca. 10 % der Krankheitstage entstehen durch Rückenschmerzen.
- Bei Langzeiterkrankungen des Rückens kehren nach 6 Monaten Arbeitsunfähigkeit nur 50 % der Betroffenen an ihren Arbeitsplatz zurück, nach einem Jahr AU nur 20 %.
- Fast vier von fünf Beschäftigten am Bildschirmarbeitsplatz klagen lt. einer Studie der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin über körperliche Beschwerden während oder nach der Arbeit.
Dem Schmerz "entgehen"
Die gute Nachricht ist: In den allermeisten Fällen – auch und gerade am Bildschirmarbeitsplatz – gehen Rückenschmerzen nicht auf kritische Veränderungen, z. B. an der Wirbelsäule, zurück, sondern sie lassen sich effektiv und relativ schnell durch eine Umstellung in der Lebensführung hin zu mehr und gezielter Bewegung verbessern. Wichtig ist dabei auch zu verstehen, dass psychischer Druck viel dazu beitragen kann, das Rückenschmerzen zunehmen oder sich "festsetzen", also chronisch werden.
1.2 Die Lösung: Aufstehen, um sich zu bewegen
Der Wechsel zwischen Sitzen, Stehen und Bewegen bringt den gesundheitlichen ...