2.2.1 Anzeigegründe
Rz. 7
Ein Insolvenzgrund ist unverzüglich (ohne schuldhaftes Zögern) durch den Vorstand der Krankenkasse der zuständigen Aufsichtsbehörde anzuzeigen (Satz 1). Mit einer frühzeitigen Verpflichtung zur Anzeige der
- Zahlungsunfähigkeit,
- drohenden Zahlungsunfähigkeit oder
- Überschuldung
ist die Aufsichtsbehörde rechtzeitig in der Lage, den Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens (Abs. 3) zu prüfen.
Rz. 7a
Die Krankenkasse ist zahlungsunfähig, wenn sie nicht in der Lage ist, die fälligen Zahlungspflichten zu erfüllen (§ 17 Abs. 2 Satz 1 InsO). Dies ist i. d. R. anzunehmen, wenn sie ihre Zahlungen eingestellt hat (§ 17 Abs. 2 Satz 2 InsO) oder 10 % oder mehr ihrer fälligen Gesamtverbindlichkeiten länger als 3 Wochen nicht erfüllen kann (BGH, Beschluss v. 26.2.2013, II ZR 54/12).
Rz. 8
Zahlungsunfähigkeit droht, wenn die Krankenkasse voraussichtlich nicht in der Lage sein wird, die bestehenden Zahlungsverpflichtungen im Zeitpunkt der Fälligkeit zu erfüllen (Legaldefinition; vgl auch § 18 Abs. 2 InsO). Darüber ist eine Prognose zu erstellen. In Anbetracht dessen, dass die Krankenkassen die Zuweisungen aus dem Gesundheitsfonds in einem zweistufigen Verfahren mit monatlichen Abschlägen und einem Jahresausgleich ausgezahlt bekommen, erscheint ein Prognosezeitraum auf der Grundlage der Abschlagszahlungen bis zum Erhalt der Schlusszahlung als denkbar (Krasney, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB V, 4. Aufl. 2020, § 160 Rz. 26 m. w. N.). Für diesen Zeitraum ist ein Finanzplan zu erstellen, in dem die bereits bestehenden und noch zu begründenden Zahlungspflichten und die in dieser Zeit erwarteten Zahlungseingänge gegenüber zu stellen sind.
Rz. 9
Die Krankenkasse ist überschuldet, wenn ihr Vermögen die bestehenden Verbindlichkeiten nicht mehr deckt, es sei denn, die Fortführung der Krankenkasse ist nach den Umständen überwiegend wahrscheinlich (vgl. § 19 Abs. 2 Satz 1 InsO). Um die Überschuldung transparent zu machen, sind
- die Erstellung einer Überschuldungsbilanz und
- eine Fortführungsprognose
erforderlich (zweistufiger Überschuldungsbegriff). Beide Tatbestandsmerkmale sind gleichwertig. Liegt eine positive Fortführungsprognose vor, scheidet die Überschuldung selbst bei einer negativen Überschuldungsbilanz aus (Bremen, in: Graf-Schlicker, InsO, § 19 Rz. 12). Umgekehrt ist die Überschuldung ausgeschlossen, wenn die Krankenkasse trotz positiver Fortführungsprognose rechnerisch nicht überschuldet ist.
Verbindlichkeiten sind nicht zu berücksichtigen, für die der GKV-Spitzenverband nach § 169 Abs. 1 haftet. Dies betrifft die bis 31.12.2009 aufgelaufenen Altersversorgungsverpflichtungen. Ungedeckte Versorgungsverpflichtungen sollen nicht zu einer insolvenzrechtlichen Überschuldung der Krankenkassen führen (BT-Drs. 16/9559 S. 20).
2.2.2 Verpflichtung des Vorstands
Rz. 10
Die Verpflichtung zur Anzeige trifft den Vorstand. Anders als nach dem Recht der Insolvenzordnung hat er nicht den Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu stellen, sondern den Sachverhalt der zuständigen Aufsichtsbehörde unverzüglich anzuzeigen. Der Vorstand muss damit ohne schuldhaftes Zögern (§ 121 Abs. 1 Satz 1 BGB) handeln. Die Anzeige ist spätestens 3 Wochen nach dem Eintritt der Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung abzugeben (§ 15 Abs. 1 Satz 1 InsO). Inhaltlich ist die Aufsichtsbehörde an die Einschätzungen und Wertungen der Anzeige nicht gebunden (BT-Drs. 16/9559 S. 20), kann also auch zu abweichenden Beurteilungen kommen.
Rz. 10a
Besteht der Vorstand aus mehreren Organwaltern, ist jede Person unabhängig vom jeweiligen Zuständigkeitsbereich von der Anzeigepflicht betroffen. Der Antrag eines Vorstandsmitglieds wirkt auch für die Vorstandskollegen, die dann von ihrer Anzeigepflicht befreit sind.
Rz. 10b
Über die Anzeige ist dem Verwaltungsrat zu berichten (§ 35a Abs. 2 SGB IV). Der Vorstand kommt seiner Berichtspflicht unaufgefordert nach. Ein Verstoß dagegen ist eine Amtspflichtverletzung. Daraus können sich sowohl Schadenersatzansprüche als auch eine Amtsentbindung oder Amtsenthebung (§ 59 Abs. 2, 3 SGB IV) ergeben.
Rz. 11
Das Unterlassen der Anzeige ist als Vergehen strafbar und kann mit Freiheitsstrafe von bis zu 3 Jahren oder Geldstrafe belegt sein (§ 307a Abs. 1), auch wenn bloße Fahrlässigkeit vorliegt. Strafbar ist bereits die fehlerhafte oder eine unterlassene Anzeige drohender Zahlungsunfähigkeit.
Rz. 12
Der Anzeige sind aussagefähige Unterlagen beizufügen (Satz 2). Daraus muss sich der angezeigte Insolvenzgrund schlüssig und nachvollziehbar ergeben. Vorzulegen sind somit insbesondere die Liquiditätsbilanz (Zahlungsunfähigkeit und drohende Zahlungsunfähigkeit) und die Überschuldungsbilanz mit der erforderlichen negativen Fortführungsprognose (Überschuldung).
2.2.3 Haftung für Altersversorgungs- und Altersteilzeitverpflichtungen
Rz. 12a
Solange der GKV-Spitzenverband für die Altersversorgungs- und Altersteilzeitverpflichtungen haftet (§ 169 Abs. 1), werden diese nicht in die Überschuldungsbilanz (§ 19 InsO) eingestellt (Satz 3). Ungedeckte Versorgungsverpflichtungen führen damit nicht zu einer insolvenzrechtlichen Überschuldung (BT-Drs. 16/9559 S. 20...