Rz. 4
Abs. 1 ermöglicht es den Kranken- und Pflegekassen, zum Gesundheitsschutz eines Versicherten, datengestützte Auswertungen der ihnen vorliegenden Informationen über medizinische und pflegerische Sachverhalte vorzunehmen und den Versicherten auf die Ergebnisse dieser Auswertung hinzuweisen. Der Terminus "Hinweis" impliziert, dass die Versicherten lediglich vom Ergebnis der Auswertung in Kenntnis gesetzt werden und dadurch weder in die ärztliche Therapiefreiheit eingegriffen noch die Wahlfreiheit der Versicherten beschränkt werden darf. Die Auswertung der Daten hat streng zweckgebunden zu erfolgen. Das bedeutet, dass eine Auswertung nur dann erfolgen darf, wenn eine der in Abs. 1 Nummern 1 bis 6 enumerativ genannten Voraussetzungen erfüllt ist.
2.1.1 Erkennung von seltenen Krankheiten (Abs. 1 Nr. 1)
Rz. 5
Abs. 1 Nr. 1 ermöglicht die Datenauswertung zur Erkennung von seltenen Erkrankungen. Die Norm definiert den Begriff "seltene Erkrankungen" nicht. Nach der EU Definition in Verordnung (EG) Nr. 141/2000 bezeichnet der Begriff eine Erkrankung, von der nach dem allgemein anerkannten Schwellenwert nicht mehr als 5 von 10.000 Personen in der Gemeinschaft betroffen sind. Daran anknüpfend findet sich in § 116b Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 zur Inhaltsbestimmung der ambulanten spezialärztlichen Versorgung (ASV) eine Definition, auf die für § 25b zurückgegriffen werden kann. Der in § 116b definierte Katalog umfasst seltene Erkrankungen und Erkrankungszustände mit entsprechend geringen Fallzahlen wie
- Tuberkulose,
- Mukoviszidose,
- Hämophilie,
- Fehlbildungen, angeborene Skelettsystemfehlbildungen und neuromuskuläre Erkrankungen,
- schwerwiegende, immunologische Erkrankungen,
- biliäre Zirrhose,
- primär sklerosierende Cholangitis,
- Morbus Wilson,
- Transsexualismus,
- Versorgung von Kindern mit angeborenen Stoffwechselstörungen,
- Marfan-Syndrom,
- pulmonale Hypertonie,
- Kurzdarmsyndrom,
- Versorgung von Patienten vor oder nach Organtransplantation und von lebenden Spendern.
Die Zusammenführung der bei den Kassen vorliegenden Daten unterschiedlicher Quellen kann eine Beschleunigung der Erkennung einer der seltenen Erkrankungen ermöglichen, die häufig erst im Rahmen von Differentialdiagnosen sukzessive angesichts der Schwere der Erkrankung und der Diagnostik unterschiedlicher Disziplinen bestätigt oder ausgeschlossen werden kann. Die Auswertung der Daten ermöglicht es, den Versicherten zielgerichtete Hinweise zur weiteren Abklärung zu empfehlen.
Durch den Hinweis darf die ärztliche Therapiefreiheit und Wahlfreiheit des Versicherten nicht beeinträchtigt werden.
2.1.2 Erkennung von Krebserkrankungen (Abs. 1 Nr. 2)
Rz. 6
Nach einem Bericht der Deutschen Krebshilfe findet aktuell im Rahmen der gesetzlichen Krebs-Früherkennungsprogramme eine Risikostratifizierung ausschließlich anhand des Alters und des Geschlechts statt. Lebensstilfaktoren (z. B. Rauchen, Alkoholkonsum, Übergewicht) sowie genetische Prädisposition und Vorerkrankungen werden hingegen nicht berücksichtigt. Es gebe jedoch gute Annahmen, dass sich eine Risikoadaptierung günstig auf das individuelle Nutzen-Schaden-Verhältnis der Krebs-Früherkennung auswirke (https://www.krebshilfe.de/forschen/projekte/foerderschwerpunkte/risikoadaptierte-frueherkennung-und-risikoadaptiertes-screening/). Die nach Abs. 1 Nr. 2 mögliche Auswertung der den Kassen vorliegenden Daten kann Hinweise auf ein erhöhtes Krebsrisiko ermöglichen und so eine gezielte Information über die Möglichkeiten der risikoadaptierten Früherkennung und den Anspruch auf Vorsorgeleistungen gewährleisten. Krankenkassen können z. B. auch solche Patienten ansprechen, die bereits wegen Krebs operiert wurden und deren Abrechnungsdaten nahelegen, dass keine medizinisch erforderliche Nachsorge zur Erkennung eines Rezidivs erfolgte (so BT-Drs. 20/9046 S. 62).
2.1.3 Erkennung von schwerwiegenden Gesundheitsstörungen durch Arzneimitteltherapie (Abs. 1 Nr. 3)
Rz. 7
Hierzu heißt es in der amtlichen Begründung in BT-Drs. 20/9046 S. 62:
Zitat
Wenn wirkstoffgleiche Präparate mit unterschiedlichen Handelsnamen von unterschiedlichen Leistungserbringern verschrieben worden sind, schwerwiegende unbeabsichtigte Arzneimittelwechselwirkungen naheliegen, oder ein Präparat über die regelmäßig erforderliche Anwendungsdauer hinaus eingenommen wird, drohen potenziell lebensbedrohliche Komplikationen. Während in den meisten Fällen die Arzneimitteltherapiesicherheit ohne Mitwirken der Krankenkassen gewährleistet werden kann, können von den Krankenkassen ausgesprochene Hinweise zum Aufsuchen eines Angebots eines Leistungserbringers insbesondere dann hilfreich sein, wenn der betroffene Versicherte längere Zeit keine ärztliche Beratung in Anspruch genommen hat oder von mehreren Ärzten beraten wird, die unwissend gegenüber den Beratungen und Therapien ihrer Kollegen sind, und die verschriebenen Rezepte in unterschiedlichen Apotheken eingelöst werden. Kein einzelner Leistungserbringer hätte in diesem Fall die Möglichkeit gehabt, den Versicherten adäquat beraten zu können; dabei nutzen die Versicherten ihre Wahlfreiheit nicht regelmäßig dafür, um eine sachgerechte Beratung durch die Leistungserbringer zu untergraben. Nur bei den Krankenkassen laufen derzeit automatisch alle Date...