Rz. 55

Nach Ablauf der vorgesehenen Fristen (vgl. Rz. 50) gilt gemäß Satz 6 die Leistung als von der Kasse genehmigt, sofern diese dem Leistungsberechtigten keinen hinreichenden Grund für die Überschreitung unter taggenauer Benennung des nunmehrigen Entscheidungsdatum rechtzeitig mitgeteilt hat (BSG, Urteil v. 26.2.2019, B 1 KR 20/18 R). Hat die Krankenkasse hingegen einen hinreichenden Grund mitgeteilt, endet die Frist nach Ablauf der taggenau anzugebenden Überschreitung (vgl. Rz. 54).

2.4.4.1 Kein Sachleistungsanspruch

 

Rz. 56

Zunächst vertrat das BSG die Auffassung, dass mit dem Eintritt der Genehmigungsfunktion dem Versicherten ein – neben den in Satz 7 ausdrücklich geregelten Selbstbeschaffungs- und Erstattungsanspruch tretender – unmittelbarer Sachleistungsanspruch gegen die Krankenkasse erwuchs (vgl. nur BSG, Urteil v. 8.3.2016, B 1 KR 25/15 R). Diese Auffassung hat das BSG mittlerweile ausdrücklich aufgegeben (BSG, Urteil v. 26.5.2020, B 1 KR 9/18 R; BSG, Urteil v. 18.6.2020, B 3 KR 14/18) und geht jetzt davon aus, dass die Genehmigungsfiktion lediglich das in Satz 7 geregelte Recht auf Selbstbeschaffung und Kostenerstattung "vermittelt" und den Rechtsgrund dafür darstellt, dass der Leistungsberechtigte nach erfolgter Selbstbeschaffung die Leistung auch dann behalten darf, wenn hierauf nach allgemeinen Grundsätzen der gesetzlichen Krankenversicherung eigentlich kein Anspruch besteht.

Dies bedeutet, dass eine Inanspruchnahme jetzt immer eine Vorfinanzierung durch den Berechtigten erfordert, was eine entsprechende finanzielle Leistungsfähigkeit voraussetzt. Es stellt keinen Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG dar, dass sich nach nicht fristgemäßer Entscheidung der Krankenkasse nicht auch mittellose Versicherte Leistungen zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung beschaffen können, auf die materiellrechtlich kein Leistungsanspruch besteht. Entscheidend und ausreichend ist vielmehr, dass alle Versicherten nach den gleichen rechtlichen Grundsätzen Zugang zu den Sachleistungsansprüchen haben, zumal Erstattungsansprüche in allen Rechtsgebieten immer eine entsprechende finanzielle Leistungsfähigkeit voraussetzen (BSG, Urteil v. 26.5.2020, B 1 KR 9/18 R). Im Übrigen kommt, ebenso wie bei einem Erstattungsanspruch nach § 13 Abs. 3 (vgl. Rz. 38) auch ein Anspruch auf Freistellung von einer bereits rechtsgültig, von einer vom Versicherten bereits eingegangenen Zahlungsverpflichtung in Betracht, der, etwa bei gestundeten Forderungen, nicht zwingend erfordert, dass bereits Zahlungen geleistet wurden (BSG, Urteil v. 18.6.2020, B 3 KR 14/18 R).

2.4.4.2 Kein fingierter Verwaltungsakt

 

Rz. 57

Die Genehmigungsfiktion vermittelt dem Versicherten eine "Rechtsposition sui generis" (kritisch dazu etwa Knispel, KrV 2021 S. 14, 19), die es ihm erlaubt, die Leistung (bei Gutgläubigkeit) selbst zu beschaffen und die es der Krankenkasse verbietet, die Kostenerstattung mit der Begründung abzulehnen, nach dem Recht der gesetzlichen Krankenversicherung bestehe kein Rechtsanspruch auf die Leistung. Die Genehmigungsfiktion stellt vielmehr den Rechtsgrund dafür dar, dass der Leistungsberechtigte nach erfolgter Selbstbeschaffung die Leistung auch dann behalten darf, wenn hierauf nach allgemeinen Grundsätzen der gesetzlichen Krankenversicherung eigentlich kein Anspruch besteht (BSG, Urteil v. 26.5.2020, B 1 KR 9/18 R; BSG, Urteil v. 18.6.2020, B 3 KR 14/18).

Mit der Postulierung einer solchen "Rechtsposition sui generis" geht das BSG nunmehr (anders als bis zu den Entscheidungen aus Mai/Juni 2020) nicht mehr davon aus, dass der fingierten Genehmigung die Qualität eines fingierten Verwaltungsaktes zukommt. Die fingierte Genehmigung kann daher auch nicht nach § 45 SGB X zurückgenommen werden. Es kommt damit nicht (mehr) auf die früher streitige Frage an, unter welchen Voraussetzungen die fingierte Genehmigung nach § 45 SGB X zurückgenommen werden kann. Der 1. Senat des BSG vertrat dazu die Position, dass eine Rücknahme für die Krankenkasse wegen ursprünglicher Rechtswidrigkeit nur dann möglich sei, wenn die Voraussetzungen für den Eintritt der Genehmigungsfiktion nicht vorgelegen hätten, völlig unabhängig vom Vorliegen der materiellen Voraussetzungen des Leistungsanspruchs (BSG, Urteil v. 27.8.2019, B 1 KR 36/18 R; BSG, Urteil v. 8.3.2016. B 1 KR 25/15 R). Dies wurde zum Teil heftig kritisiert und auch der damals ebenfalls für das Leistungsrecht zuständige 3. Senat des BSG vertrat die Position, dass als Maßstab für die Rechtmäßigkeit der fingierten Genehmigung die materiellen Anspruchsvoraussetzungen der beantragten Leistungen heranzuziehen sein könnten (BSG, Urteil v. 11.5.2017, B 3 KR 30/15 R).

2.4.4.3 Kein Abschluss des Verwaltungsverfahrens durch Genehmigungsfiktion

 

Rz. 58

Da die fingierte Genehmigung keinen Verwaltungsakt darstellt, wird das Verwaltungsverfahren durch den Eintritt der Genehmigungsfiktion auch nicht abgeschlossen. Sofern sich das Verwaltungsverfahren daher nicht anderweitig erledigt (z. B. durch Zeitablauf, weil die Krankheit inzwischen ausgeheilt oder die beantragte Operation nicht mehr erforderlich ist), ist die Krankenkasse damit be...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Haufe Personal Office Platin enthalten. Sie wollen mehr?