Rz. 14
Nach Abs. 2 muss die Krankenkasse, wenn die ambulanten Vorsorgeleistungen am Wohnort nicht ausreichen, aus medizinischen Gründen erforderliche ambulante Vorsorgeleistungen in anerkannten Kurorten erbringen. Mit der auf dem GVWG beruhenden Änderung der Norm zum 20.7.2021 (vgl. Rz. 6f) wurden die zuvor als Ermessensleistung ausgestalteten Vorsorgeleistungen nach Abs. 2 in Pflichtleistungen umgewandelt. Dabei kam es dem Gesetzgeber darauf an, dem besonderen Wert der Vorsorgeleistungen für die Gesundheit der Versicherten stärker Rechnung zu tragen. Um den in Abs. 1 genannten Zielen gerecht zu werden, ist so stärker in den Vordergrund gerückt worden, dass chronischer Erkrankungen und Risikofaktoren durch ungünstige Verhaltensweisen negativ beeinflusst und verstärkt werden können. Vorsorgeleistungen sollen auch einen bewussteren und verantwortungsvolleren Umgang mit der Gesundheit fördern und krankheitsträchtige sowie krankheitsbestimmende Verhaltensweisen korrigieren. Erklärtes Ziel ist es dabei, eine Verstetigung dieses Leistungsbereichs zu erreichen, nachdem die Leistungen nach Abs. 2 und 4 in den vergangenen Jahren regelmäßig Rückgänge zu verzeichnen hatten. Der demographische Wandel und der Anstieg chronischer Erkrankungen rückt insofern die medizinische Vorsorge stärker in den Vordergrund (vgl. BT-Drs. 19/26822 S. 66).
Die bis zur Änderung gebotene Ermessensausübung hatte sich entsprechend der Regelung im Recht der gesetzlichen Rentenversicherung in erster Linie auf die Ausgestaltung der Leistungen beschränkt, weil sich vor dem Hintergrund der Zielrichtung der Vorsorgeleistungen und insbesondere auch vor der Erkenntnis der gesteigerten Bedeutung von Prävention hinsichtlich des "Ob" der Leistungsgewährung bereits ein gebundener Anspruch aufdrängte(vgl. u. a. BSG, Urteil v. 30.5.2006, B 1 KR 17/05 R, Rz. 34 m. w. N.).
Insoweit durfte die Krankenkasse Art und Schweregrad des zugrunde liegenden Gesundheitsproblems, das vorhandene Aktivitätsprofil, den person- und umweltbezogenen Kontext und daraus folgend das erforderliche medizinische Profil der Leistung, die Form der Durchführung, die Dauer und Dringlichkeit der Leistung und andere Besonderheiten wie behinderungsspezifische Ausstattung, Mitaufnahme einer betreuenden Begleitperson, Möglichkeit der Mitaufnahme von Begleitkindern und fremdsprachliches Angebot berücksichtigen (vgl. Ziff. 1.6 der Begutachtungs-Richtlinie).
Rz. 14a
Das Präventionsgesetz (vgl. Rz. 6c) hatte den Anspruch bereits insofern erweitert, als auch Versicherte mit besonderen beruflichen und familiären Belastungen wie Beschäftigte in Schichtarbeit und pflegende Angehörige Leistungen nach Abs. 2 in Anspruch nehmen konnten. Diese Versicherten können die Leistungen nach Abs. 1 oftmals nicht in ihren regulären Tagesablauf integrieren bzw. nicht regelmäßig in Anspruch nehmen. Sie erhalten so die Möglichkeit, neben Angeboten nach Abs. 1 auch unmittelbar ambulante Vorsorgeleistungen in Kurorten wahrnehmen zu können, ohne dass zuvor Leistungen nach Abs. 1 am Wohnort erbracht worden sind, soweit die medizinische Erforderlichkeit gegeben ist. Derartige Versicherte können nunmehr unmittelbar ambulante Leistungen in anerkannten Kurorten in Anspruch nehmen. Die Krankenkassen durfte bereits nach altem Recht im Rahmen der Ermessensentscheidung nicht berücksichtigen, dass für diese Versicherten entsprechende ambulante Maßnahmen am Wohnort vorhanden waren und ausreichten.
Rz. 15
An Leistungen im Rahmen der ambulanten Vorsorge in anerkannten Kurorten kommen insbesondere ortsgebundene Mittel in Betracht (z. B. Heilwasser zum Trinken, Bäder, geologische und klimatische Besonderheiten wie Seeklima, besonders reine oder trockene Luft, Höhenlage). Dadurch, dass die Leistungen in nach Landesrecht anerkannten Kurorten (auch staatlich anerkannte Heilbäder rechnen dazu) durchzuführen sind, bleibt die gesundheitspolitisch wertvolle Struktur von Kurorten und deren hochwertige Einrichtungen nach Auffassung des Gesetzgebers erhalten und wird weiter gestärkt.