2.1 Überblick
Rz. 3
Nach der Intention des Gesetzgebers soll die Solidargemeinschaft der gesetzlich Krankenversicherten nicht für die Kosten einer Behandlung einer Krankheit einstehen,
die im Zusammenhang mit
- einem vorsätzlich selbst herbeigeführten Gesundheitsschaden (Rz. 7 f.),
- einem begangenen Verbrechen (Rz. 9),
- einem vorsätzlichen Vergehen (Rz. 10),
entsteht (Abs. 1).
Gleiches gilt gemäß Abs. 2 für eine Erkrankung, die maßgeblich aufgrund
- einer medizinisch nicht indizierten ästhetischen Operation,
- einer Tätowierung oder
- einem Piercing
(Rz. 25 ff.) entstand. Der Krankheitsbegriff des § 52 ist identisch mit demjenigen des § 27 Abs. 1 Satz 1 (SG Berlin, Urteil v. 10.12.2013, S 182 KR 1747/12).
Die Krankenkassen haben die Versicherten in diesen Fällen an den Krankenbehandlungskosten i. S. d. §§ 27 ff. angemessen zu beteiligen und das Krankengeld ganz oder teilweise zu versagen oder zurückzufordern. § 52 schützt somit die Solidargemeinschaft der Versicherten vor unsolidarischem Verhalten einzelner Versicherter.
Rz. 4
Für die Krankenkassen besteht eine Handlungspflicht, wenn Ihnen die oben erwähnten Umstände bekannt werden. Lediglich bei der Höhe der Angemessenheit der Kostenbeteiligung hat die Krankenkasse einen Ermessensspielraum, bei dem insbesondere die Höhe der Leistungsaufwendungen, der Grad des Verschuldens, die finanzielle Leistungsfähigkeit des Versicherten, seine Unterhaltsverpflichtungen sowie die Regelung des § 33 Abs. 3 EStG über die für das Kalenderjahr geltende zumutbare Belastung zu berücksichtigen ist (vgl. BSG, Urteil v. 27.08.2019, B 1 KR 37/18 R).
Über die Festsetzung des Anteils der Kostenbeteiligung hat die Krankenkasse dem Versicherten einen formellen Bescheid zu erteilen. Die sich hieraus ergebende Forderung der Krankenkasse ist öffentlich rechtlicher Natur und daher ggf. im Rahmen der Verwaltungsvollstreckung eintreibbar (vgl. auch GR der Spitzenverbände der Krankenkassen v. 18.5.2007, zu § 52 SGB V, Tit. 4).
Rz. 5
Die gesetzliche Verpflichtung der Krankenkassen, Versicherte in den Fällen des § 52 z. B. an den Kosten der Krankenbehandlung von Krankheiten in einer nach pflichtgemäßem Ermessen festzusetzenden Höhe zu beteiligen, verletzt weder das Recht auf körperliche Unversehrtheit (§ 2 Abs. 2 S. 1 GG) noch das Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip. Der Gesetzgeber hat lediglich in verhältnismäßiger Weise von seinem Gestaltungsrecht Gebrauch gemacht, den Bereich der Eigenvorsorge zu umreißen (BSG, Urteil v. 27.8.2019, B 1 KR 37/18 R).
2.2 Verbrechen/Vergehen oder vorsätzliche Handlung (Abs. 1)
2.2.1 Voraussetzungen
Rz. 6
Nach dem GR der Spitzenverbände der Krankenkassen vom 9.12.1988 zu § 52 SGB V besteht die Möglichkeit der Leistungsbeschränkung dann, wenn sich der Versicherte eine Krankheit
- durch eine vorsätzliche (schädigende) Handlung (Rz. 7 f.) oder
- während eines von ihm begangenen Verbrechens (Rz. 9) oder
- während eines von ihm begangenen vorsätzlichen Vergehens (Rz. 10)
zugezogen hat. Bei einem begangenen Verbrechen oder bei einem vorsätzlichen Vergehen ist es nicht erforderlich, dass sich der Vorsatz auf die Krankheit selbst erstreckt.
Ein Kriterium für ein Vergehen bzw. Verbrechen ist ein Strafbefehl oder die Verurteilung durch das Amtsgericht etc.
Damit die Krankenkasse § 52 Abs. 1 anwenden kann, hat sie den ursächlichen Zusammenhang zwischen dem Verhalten des Versicherten bzw. dem Verbrechen und dem vorsätzlichen Vergehen einerseits und der Krankheit andererseits nachzuweisen.
Rz. 7
Zu a)
Die Voraussetzungen einer vom Versicherten vorsätzlich zugezogenen Krankheit und damit die Möglichkeit der Krankenkasse, den Versicherten an den Kosten der Krankenbehandlung zu beteiligen, liegen vor, wenn sich der Versicherte den Gesundheitsschaden bewusst zugefügt hat – und zwar auch dann, wenn der Versicherte das Ausmaß des sich daraus entwickelnden Gesundheitsschadens nicht beabsichtigte. Es genügt jedes zurechenbare aktive Tun oder Unterlassen, das zur Gesundheitsschädigung führt.
Unter einer vorsätzlichen Handlung i. S. d. § 52 Abs. 1 versteht man den "Willen zur Verwirklichung einer Handlung in Kenntnis aller seiner Tatumstände" (vgl. BGH, Urteil v. 5.5.1964, 1 StR 26/64). Die vorsätzliche Handlung i. S. d. § 52 Abs. 1 wird teilweise auch als vorsätzliche Begehung/Unterlassung definiert und zielt auf die Herbeiführung einer Vergiftung, Verletzung oder sonstigen Schädigung der eigenen Gesundheit ab. Der Vorsatz muss sich also auf die bewusste Herbeiführung einer Krankheit beziehen. Dabei ist es unbeachtlich, was der sich selbst verletzende Versicherte durch die Körperschädigung erreichen wollte (z. B. Herbeiführung einer Arbeitsunfähigkeit, um nicht arbeiten zu müssen, Schaffung von Anerkennung, Mitleid oder Aufmerksamkeit).
Für die Rückforderung von Behandlungskosten bzw. für das ganze oder teilweise Versagen des Krankengeldes genügt jede dem Versicherten nachgewiesene vorsätzliche Herbeiführung seiner Krankheit, auch wenn diese sich erst im Laufe der Zeit entwickelt. Es genügen alle 3 Vorsatzformen (vgl. Rz. 8). Als Beispiel wäre hier zu nennen