Rz. 2
Die gesetzlichen Krankenkassen können ihren Versicherten seit dem 1.4.2007 Wahltarife anbieten, die teilweise der privaten Krankenversicherung entlehnt sind (BT-Drs. 16/3100 S. 108). Damit hat der Gesetzgeber die Wahlfreiheit für Versicherte in der gesetzlichen Krankenversicherung erhöht und ihnen umfangreiche neue Rechte im Rahmen der Tarifgestaltung eingeräumt. Er sieht darin eine wichtige Voraussetzung für mehr Transparenz und Wettbewerb zwischen den Krankenkassen (vgl. Begründung in BT-Drs. 16/3100 S. 108). Bei den Wahltarifen handelt es sich zum einen um Tarife, mit denen der gesetzliche Leistungsanspruch aufgestockt werden kann, zum anderen um Tarife, die Prämien für die fehlende oder eine geringere Inanspruchnahme von Leistungen vorsehen. Wahltarife dürfen nur aufgrund einer gesetzlichen Ermächtigung eingeführt und angeboten werden (BSG, Urteil v. 30.7.2019, B 1 KR 34/18 R). Bei der Bewerbung von Wahltarifen darf der Aufgabenkreis einer Körperschaft des öffentlichen Rechts nicht überschritten werden (BSG, Urteil v. 30.7.2019, B 1 KR 16/18 R; Rabatte bei ausgewählten Vorteilspartnern).
Die Norm enthält zahlreiche Gestaltungsmöglichkeiten über Wahltarife, die von den Versicherten individuell gewählt werden können:
- Selbstbehalt (Abs. 1),
- Prämienzahlungen bei Nichtinanspruchnahme von Leistungen (Abs. 2),
- Wahltarif für besondere Versorgungsformen (Abs. 3),
- variable Kostenerstattung (Abs. 4),
- Kostenübernahme von Arzneimitteln für besondere Therapierichtungen (Abs. 5; zum 11.5.2019 aufgehoben),
- Tarife zum Krankengeldanspruch (Abs. 6) sowie
- Tarife zum eingeschränkten Leistungsanspruch für bestimmte Mitgliedergruppen (Abs. 7).
In Abs. 8 sind Mindestbindungsfristen, Kündigung und die Höhe der Prämienzahlungen festgelegt, während Abs. 9 die Finanzierung der Wahltarife und die Rechenschaftslegung gegenüber der Aufsichtsbehörde regelt.
Für die neuen Wahltarife laufen keine Fristen. Die Versicherten können sich zum Beginn der Versicherung oder einem späteren Zeitpunkt dafür oder dagegen entscheiden.
Die Wahlentscheidung des Mitglieds stellt eine einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung dar, bei der es sich um die Ausübung eines Gestaltungsrechts handelt. Sie wird grundsätzlich mit dem Zugang bei der Krankenkasse wirksam, soweit das Gesetz (vgl. § 44 Abs. 2 Satz 4) oder die Satzung nichts Abweichendes regelt oder die Wahl sich nicht zwangsläufig auf ein Kalenderjahr beziehen muss (vgl. Abs. 1 und 2). Gesetzliche Formvorschriften enthält das SGB V nicht. Allerdings erscheint die Schriftform aus Beweisgründen angezeigt und kann durch eine Regelung in der Satzung der Krankenkasse auch verlangt werden. Die wirksame Willenserklärung ergänzt für das Mitglied und dessen mitversicherte Familienangehörige die Rechte und Pflichten nach dem Sozialgesetzbuch.
Einführung und Ausgestaltung eines Wahltarifs sind in der Satzung der Krankenkasse zu regeln. Zuständig dafür ist der Verwaltungsrat (vgl. § 197 Abs. 1 Nr. 1). Für die Wirksamkeit ist die Genehmigung durch die zuständige Aufsichtsbehörde erforderlich (§ 34 Abs. 1 Satz 2 SGB IV, § 195 Abs. 1 SGB V). Während es die Regelungen in Abs. 1, 2, 4 und 7 dem Ermessen der Selbstverwaltung der Krankenkasse überlassen, Wahltarife einzuführen, muss die Satzung der Krankenkasse nach den Abs. 3 und 6 Wahltarife vorsehen (Besondere Versorgungsformen und Krankengeld). Die Ausgestaltung dieser Tarife ist der Satzung überlassen. Individuelle Regelungen der Krankenkasse mit einzelnen Versicherten oder einzelnen Versichertengruppen sind ausgeschlossen, weil die Wahltarife eine generelle Einführung erfordern. Der einzelne Versicherte besitzt keinen Anspruch gegen seine Krankenkasse auf Einführung eines bestimmten Wahltarifs.
In der Satzung hat die Krankenkasse auch das Nähere der Tarifgestaltung zu regeln. Hierzu gehören neben den Durchführungsmodalitäten auch die Höhe der Prämie und die Art der Bonifizierung (Prämienzahlung, Zuzahlungsermäßigung).