2.1 Öffentlich-rechtlicher und privatrechtlicher Pflichtenkreis der Pflegedienste
Rz. 3
Nach der Systematik des SGB XI hat der Versicherte gegenüber seiner Pflegekasse für alle nach § 28 vorgesehenen Leistungsarten grundsätzlich einen Anspruch auf Gewährung von Sachleistungen (Sachleistungsprinzip), zu denen auch die häusliche Pflegehilfe gehört (vgl. § 36). Zur Sicherstellung dieser Leistungen schließen die Landesverbände der Pflegekassen mit den ambulanten Pflegediensten (öffentlich-rechtliche) Versorgungsverträge gemäß § 72, kraft derer sich die zugelassenen Leistungserbringer gegenüber den Pflegekassen gegen Zahlung einer bestimmten Vergütung (§§ 89, 90) zur vertragsgemäßen Erbringung von Leistungen der häuslichen Pflege verpflichten. Bei Inanspruchnahme dieser Leistungen schließen die zugelassenen Pflegedienste mit den Versicherten einen privatrechtlichen Vertrag über die Erbringung der im Einzelfall gewünschten bzw. benötigten Pflegeleistungen. Soweit der Pflegedienst mit den von ihm privatrechtlich geschuldeten Leistungen zugleich einen gesetzlichen Anspruch des Pflegebedürftigen auf häusliche Pflegeleistungen nach § 36 gegen dessen Pflegekasse erfüllt, hat der Leistungserbringer bei Erbringung der Betreuungsleistungen die hierzu in den Versorgungsverträgen zur Sicherstellung des gesetzlichen Versorgungsauftrags getroffenen Vereinbarungen zu beachten. Insoweit gilt der Grundsatz, dass die vertraglichen Vereinbarungen auf der kollektivrechtlichen Ebene der Pflegeselbstverwaltung unmittelbar auf die Pflegeverträge einwirken (zu Letzterem vgl. BT-Drs. 14/5395 S. 48).
Abs. 1 Satz 1 stellt für den Bereich der häuslichen Pflege (§ 36) deshalb klar, dass ein Pflegedienst (§ 71 Abs. 1), der die Betreuung eines Pflegebedürftigen übernimmt, neben seiner Leistungsverpflichtung gegenüber der Pflegekasse zugleich durch Pflegevertrag eine individualrechtliche Verpflichtung gegenüber dem Pflegebedürftigen eingeht, diesen nach Art und Schwere seiner Pflegebedürftigkeit entsprechend den von ihm in Anspruch genommenen Leistungen der häuslichen Pflegehilfe i. S. d. § 36 zu versorgen (Pflegevertrag). Dies gilt allerdings, wie schon der Wortlaut der gesetzlichen Regelung klarstellt, nur in dem Umfang, in dem Betreuungsleistungen von dem Pflegebedürftigen in Anspruch genommen werden (zum Zustandekommen des Pflegevertrages vgl. Rz. 5). Letztere Einschränkung ist nach Auffassung des Gesetzgebers erforderlich, weil ein Pflegedienst – anders als ein Pflegeheim – die Betreuung des Pflegebedürftigen nicht rund um die Uhr wahrnimmt, sondern nur die von dem Pflegebedürftigen abgerufenen Leistungen erbringt.
2.2 Pflegevertrag
2.2.1 Zustandekommen und Aushändigung des Pflegevertrages
Rz. 4
Aus der Regelung des Abs. 1 Satz 1 folgt, dass spätestens mit Beginn des ersten Pflegeeinsatzes mit dem Pflegebedürftigen ein Pflegevertrag dergestalt zustande kommt, diesen nach Art und Schwere seiner Pflegebedürftigkeit entsprechend den von ihm in Anspruch genommenen Leistungen der häuslichen Pflegehilfe i. S. d. § 36 zu versorgen. Für die Entstehung eines Vertragsverhältnisses zwischen dem Pflegedienst und dem von ihm betreuten Personenkreis reicht damit schon die tatsächliche Durchführung eines Pflegeeinsatzes aus, ohne dass es zur Wirksamkeit des Vertrages der Schriftform bedarf. Hierbei berechtigt der Wortlaut des Abs. 1 Satz 1 zu der Annahme, dass die dort beschriebene Rechtsfolge auch für probeweise von dem Pflegebedürftigen in Anspruch genommene Pflegeeinsätze gilt. Seiner Rechtsnatur nach handelt es sich bei dem zustande gekommenen Pflegevertrag um einen Dienstvertrag nach § 611 BGB, auf den die zivilrechtlichen Bestimmungen des BGB Anwendung finden.
Rz. 5
Abs. 2 Satz 1 verpflichtet den Pflegedienst, nach Aufforderung der zuständigen Pflegekasse unverzüglich, d. h. ohne schuldhaftes Zögern eine Ausfertigung des Pflegevertrages auszuhändigen. Hierbei besteht eine Pflicht des ambulanten Pflegedienstes zur Vorlage des Pflegevertrages an die Pflegekasse auch bei entsprechender Aufforderung durch den Pflegebedürftigen (vgl. BT-Drs. 16/7439 S. 90).Den Pflegekassen vermittelt die Aushändigung des Pflegevertrages mehr Rechtsklarheit und Transparenz und bewirkt, dass die Kostenträger die ihnen im Sachleistungssystem der Pflegeversicherung für die Interessen der Pflegebedürftigen zukommende Sachwalterfunktion (z. B. Unterstützungspflichten bei der Verfolgung von Schadensersatzansprüchen gem. § 115 Abs. 3 Satz 7) effizienter ausüben können. Hierzu gehört auch die Prüfung, ob die Pflegeverträge unter Berücksichtigung der gesetzlichen Vorgaben der Abs. 3 und 4 den vertraglichen Absprachen in den Versorgungsverträgen zwischen den Kostenträgern und den Einrichtungsträgern entsprechen.
Von der Regelung des Abs. 2 Satz 1 unbenommen bleibt das Recht des Pflegebedürftigen, eine Ausfertigung des Pflegevertrages auch für sich selbst zu verlangen; diese Berechtigung folgt bereits aus den mit Abschluss des Pflegevertrages für den Pflegedienst einhergehenden Nebenpflichten (vgl. auch BT-Drs. 16/7439 S. 90).
2.2.2 Mindestinhalt des Pflegevertrages
Rz. 6
Abs. 3 Satz 1 schreibt den Mindestinhalt der Pflegeverträge vor. In Betracht kommende Vertragsinhalte sind i...