2.1.1 Überblick
Rz. 5
Ausgangspunkt für die Bestimmung der Leistungsverpflichtung ist § 14, der die für Ansprüche aus der gesetzlichen Pflegeversicherung maßgebliche Bestimmung des Pflegebedürftigkeitsbegriffes sowie – insbesondere in Abs. 2 – weitergehende Begriffskonkretisierungen beinhaltet.
Rz. 6
Leistungen aus der Pflegeversicherung erhalten nur Personen, bei denen der Zustand der Pflegebedürftigkeit (Versicherungsfall) vorliegt und ärztlich festgestellt worden ist (vgl. § 18). Dies hat sowohl für den Leistungsberechtigten als auch für die Pflegekassen und den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung als untersuchende und ärztlich feststellende Einrichtung erhebliche Bedeutung. Die insoweit wesentliche Herausforderung liegt in der begrifflichen Abgrenzung zwischen dem Zustand der Krankheit i. S. der gesetzlichen Krankenversicherung und dem der Pflegebedürftigkeit i. S. der gesetzlichen Pflegeversicherung sowie der damit verbundenen Zuständigkeit der Leistungsträger.
Nach § 27 Abs. 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung aus der gesetzlichen Krankenversicherung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Der Begriff der Pflegebedürftigkeit ist hingegen weitergehender und stellt – wie der Krankheitsbegriff – einen eigenständigen Versicherungsfall dar, der von der Pflegebedürftigkeit nach anderen Kriterien abzugrenzen ist.
2.1.2 Definition und Anspruchsgrundlagen (Abs. 1)
Rz. 7
Nach § 14 Abs. 1 Satz 1 sind Personen pflegebedürftig, die gesundheitlich bedingte Beeinträchtigungen der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten aufweisen und deshalb der Hilfe anderer bedürfen. Konkret muss es sich um Personen handeln, die
- körperliche,
- kognitive oder
- psychische
Beeinträchtigungen oder gesundheitliche Belastungen oder Anforderungen nicht selbständig kompensieren oder bewältigen können (Satz 2).
Rz. 8
Ob und mit welcher Schwere eine gesundheitlich bedingte Beeinträchtigung der Selbständigkeit bzw. der Fähigkeiten vorliegt, ist anhand der gesetzlich festgelegten Kriterien (vgl. § 14 Abs. 2) festzustellen. Hierbei handelt es sich um abschließend festgelegte Kriterien, andere Ursachen für den Hilfebedarf müssen bei der Bestimmung der Pflegebedürftigkeit außer Betracht bleiben. Die Beeinträchtigungen sind dabei personenbezogen und unabhängig vom jeweiligen (Wohn-)Umfeld zu ermitteln. Darüber hinaus ist zu beachten, dass nur diejenigen Personen als pflegebedürftig i. d. S. anzuerkennen sein sollen, die die Beeinträchtigung(en) nicht selbständig kompensieren oder bewältigen können (BT-Drs. 18/5926 S. 109).
Rz. 9
Dem erklärten Ziel des Gesetzgebers entsprechend ist der Begriff der Pflegebedürftigkeit damit weitergehend als zuvor. Er ist "pflegefachlich" auf dem aktuellen Stand, "berücksichtigt alle relevanten Aspekte von Pflegebedürftigkeit umfassend (z. B. neben kognitiven und psychischen Beeinträchtigungen auch erstmals die Bewältigung von und den Umgang mit krankheits- und therapiebedingten Belastungen und Anforderungen) und ist an den (verbliebenen) Ressourcen und Fähigkeiten des Pflegebedürftigen, nicht vorrangig an seinen Defiziten orientiert" (BT-Drs. 18/5926 S. 109). Auf diese Weise werde er "Grundlage und Impuls für moderne und pflegefachlich noch besser fundierte Leistungen und eine entsprechende Leistungserbringung in der Pflegeversicherung" (BT-Drs. 18/5926 S. 109). Über das SGB XI hinaus erlangt die Begriffsdefinition jedoch allein dann Verbindlichkeit, wenn eine ausdrückliche Verweisung normiert ist (vgl. BT-Drs. 18/5926 S. 109).
Rz. 10
Voraussetzung für einen Leistungsanspruch ist darüber hinaus, dass die Pflegebedürftigkeit nicht nur kurzzeitig, sondern prospektiv auf Dauer, d. h. voraussichtlich für mindestens 6 Monate, und mit mindestens der in § 15 festgelegten Schwere bestehen muss (Satz 3). Bereits in der bis zum 31.12.2016 geltenden Fassung bildete die Dauerhaftigkeit ein wesentliches anspruchsbegründendes Merkmal. Wenngleich der Gesetzgeber § 14 Abs. 1 (auch) hinsichtlich dieses Kriteriums sprachlich verändert hat (nunmehr bezieht sich das Kriterium der Dauer sprachlich ausdrücklich auf die Pflegebedürftigkeit), bleibt die Essenz der Anforderung unverändert: Der Betroffene muss voraussichtlich für mindestens 6 Monate hinsichtlich der genannten Aspekte auf Hilfe angewiesen sein. Damit werden die Leistungen der gesetzlichen Pflegeversicherung von Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung, die regelmäßig bei nur vorübergehenden Krankheitsfällen eintritt, abgegrenzt. Diese Anforderung gilt – weiterhin – unabhängig davon, ob es sich um eine Erstbegutachtung handelt, d. h. die Feststellung zu treffen ist, ob der Begriff der Pflegebedürftigkeit überhaupt erfüllt ist, oder um eine Begutachtung, die im Rahmen eines Begehrens auf Einstufung in einen anderen Pflegegrad durchgeführt wird und innerhalb derer die Zuordnung zu den jeweiligen Pflegegraden fraglich ist (so BSG, Urteil v. 19.2.1998, B 3 P 7/97 R, SozR 3-3300 § 15 Nr. 1 Rz. 23 zu der seinerzeit relevanten Kla...